Stummes "Wunschkonzert" im brut

Vor 45 Jahren hat der deutsche Dramatiker Franz Xaver Kroetz sein Solostück "Wunschkonzert" geschrieben: ein stummer Abend für eine Schauspielerin. Bei den Wiener Festwochen wird es als Gastspiel aus Krakau gezeigt - inszeniert von einer Kosmopolitin: der aus Lettland stammenden Regisseurin Yana Ross.

Sie lebte in den USA, inszeniert auf der ganzen Welt und hat ihre Basis heute in Litauen. Premiere ist heute Abend im brut.

Mittagsjournal, 9.6.2016

Konsum, der vom Leben abhält

Die Geschichte ist einfach: Eine Frau kommt nach Hause. Sie dreht das Radio auf, bereitet das Abendessen vor, isst, wäscht ab, liest, surft im Internet, raucht - und dann bringt sie sich um. Nüchtern und emotionslos, wie sie alle Handlungen setzt, nimmt sie eine Überdosis Schlaftabletten. Das Stück ist 45 Jahre alt - und enthalte schon bei Kroetz eine versteckte politische Botschaft, die heute aktuelle denn je sei, sagt die Regisseurin Yana Ross.

"Ich glaube es geht um einen gewissen Konsumzwang, und darum, dass es nicht nur die Einsamkeit ist, die diese Frau zugrunde richtet, sondern ihr Lebensstil, ihr Sich-Ablenken und Konsumieren", sagt Ross. "Es ist so bequem um sie herum, dass sie nicht merkt, wie sie der Komfort davon abhält, an einem wirklichen Leben draußen teilzunehmen. Es ist einfach, den Fernseher aufzudrehen und eine Weinflasche aufzumachen, aber es ist eine erstickende Behaglichkeit. So übersetze ich das Stück ins Europa des Jahres 2016."

Grissemann als Stimme aus dem Radio

Kein Wort fällt in dem Stück, nur der Radiomoderator, der das Wunschkonzert moderiert ist als Stimme präsent. "Die Stimme aus dem Radio ist wichtig, um die Verletzungen der Frau sichtbar zu machen. Denn jeder Brief, den der Moderator vorliest, berührt sie und weckt Erinnerungen. Sei das eine Gratulation oder eine Liebeserklärung - sie ist davon tief bewegt und vielleicht setzen diese schmerzhaften Erinnerungen eine Reaktionskette in Gang."

Für die Wiener Fassung konnte Radiolegende Ernst Grissemann gewonnen werden, der den Radiomoderator spricht. So erspart man den Zuschauern die Übertitel, und bewahrt eine gewisse Intimität. Denn das Publikum darf ganz nahe herankommen an diesen mit Ikea-Möbeln ausgestatteten offenen Wohnkubus. Eine Intimität, an die sich die Schauspielerin Danuta Stenka erst gewöhnen musste. Stenka ist in Polen ein bekannter Film- und Theaterstar.

Star ohne Instrument

"Die Herausforderung für mich als Regisseurin lag darin, mich ganz auf diese eine Schauspielerin zu konzentrieren, und für sie als Megastar ohne ihr kraftvollstes Instrument, ihre Stimme, auszukommen und dann zu sehen, was übrig bleibt." Yana Ross ist 43 Jahre alt, rothaarig, tätowiert, intelligent und sympathisch, spricht acht Sprachen, alle mit Akzent.

Ihre Wurzeln liegen in Polen, sie ist in Lettland geboren, in Russland aufgewachsen und mit 16 nach New York gegangen um an der Yale School of Drama zu studieren. Danach war sie in ganz Europa tätig, hat sich mit Jelinek-Inszenierungen einen Namen gemacht und an der Berliner Volksbühne inszeniert. "Mein grenzenloser Hintergrund erleichtert meine Arbeit mit den Schauspielern auf der ganzen Welt, weil wir keine Zeit verschwenden, um unsere Kulturen kennenzulernen, und ich überall sofort andocken kann", so Ross.

Zur Zeit probt sie in Island, ihr Lebensmittelpunkt ist aber in Litauen, dort hat sie Mann und Haus und das Nationaltheater Vilnius an dem sie regelmäßig inszeniert, und auch wenn sie zu Weihnachten das letzte Mal dort war, will sie an diesem - vielleicht einzigen Fixpunkt in ihrem Leben- festhalten.

Service

Wiener Festwochen - Wunschkonzert

Am 10. Juni findet im Anschluss an die Vorstellung im brut ein Publikumsgespräch mit Franz Xaver Kroetz statt.

Am 11. Juni, 11 Uhr, gibt es im Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus ein Salongespräch: "You never look at me from the place I see you. Female perspectives on reality"
mit Sigalit Landau (Sorrow Grove), Yasmeen Godder (Climax) und Franz Xaver Kroetz (Autor). Der Eintritt ist frei.

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