Eifman-Ballett gastiert erstmals in Wien

Arbeiten des russischen Starchoreografen Boris Eifman waren in den vergangenen Jahren bereits in Wien zu sehen. Nun gastiert erstmals sein in St. Petersburg beheimatetes Ensemble in der Hauptstadt: mit "Rodin" am Sonntag und Montag im Burgtheater.

Boris Eifman

Boris Eifman

APA/ROLAND SCHLAGER

Kulturjournal, 10.6.2016

"Kunst und Leben" ist eines jener Themen, die sich wie ein roter Faden durch das Schaffen von Boris Eifman ziehen: "Wo das Leben endet, beginnt die Kunst, wo die Kunst endet, beginnt das Leben." Sein eigenes künstlerische Schaffen und sein Leben sind stets auf engste miteinander verwoben gewesen, betont Eifman, der am 22. Juli seinen 70. Geburtstag feiern wird. Und er fügt hinzu: Sein Leben sei schwer gewesen, sehr schwer, aber es sei seines gewesen.

"Ich setze Gefühle in Bewegung"

1977 gründete Eifman sein eigenes Ensemble, das Leningrader Neue Ballett, wie es damals hieß. Trotz aller Probleme mit der Zensur hielt er durch. Erst ab Ende der 1980er Jahre, als die vom neuen sowjetischen Machthaber Michail Gorbatschow eingeleitete Öffnung zu greifen begann, konnte sich das Eifman-Ensemble frei entfalten.

"Ich schöpfe natürlich aus der russischen Kultur und Tradition. Aber darüber hinaus faszinieren mich auch Künstlerpersönlichkeiten, die ihr Leben lang mit sich selbst gerungen haben - wie der französische Bildhauer Auguste Rodin", sagt der Künstler. "Rodin arbeitete mit dem menschlichen Körper. Als Choreograf arbeite auch ich Zeit meines Lebens mit dem menschlichen Körper. Rodin und ich haben also viel gemeinsam."

"In meinem Stück 'Rodin' zeige ich, wie der Bildhauer Körper in unterschiedliche Formen bringt. Seine Skulpturen pulsieren vor Kraft und Energie, aber dennoch ist ihnen jeweils eine bestimmte Bewegung eingefroren. Ich als Choreograf setze hingegen Gefühle in Bewegung um. Aber das Entscheidende ist der Umgang mit dem menschlichen Körper. Daher steht mir Rodin sehr nahe und ich kann ihn sehr gut verstehen."

Tragödie der Künstlerin Camille Claudel

Rodin fasziniert Eifman aber noch aus einem anderen Grund: wegen seiner dramatischen Liebesgeschichten, insbesondere mit Camille Claudel. Die erotische und künstlerische Beziehung zwischen der damals 19-jährigen Camille und dem43-Jährigen Auguste begann 1883 und dauerte knapp ein Jahrzehnt.

"Es ist eine unglaubliche Geschichte von Liebe, Hass und endlosen Streitereien. Camille Claudel hatte selbst mit 18 Jahren bereits ein sehr hohes Niveau als Bildhauerin erreicht. Sie bereicherte Rodin sowohl auf künstlerischer als auch auf persönlicher Ebene. Er begann, wahre Meisterwerke zu schaffen.

Seine Skulpturen wurden noch ausdruckskräftiger, sie strahlten noch mehr emotionale Energie aus", sagt Eifman. "Claudel war Rodins Modell, seine Muse, seine Mitarbeiterin. Aber sie wurde von ihm ausgenutzt, sie trennten sich, und am Ende zerbrach diese Frau. Die letzten 30 Jahre ihres Lebens verbrachte sie in einer psychiatrischen Anstalt."

Psyche des "Bildhauer-Monsters" Rodin

Die Tragödie der Künstlerin, die Besessenheit des Künstlers, menschliche Dramen, Aufbruch und Scheitern: Das sind Themen, mit denen sich Boris Eifman vor allem beschäftigt. Er selbst bezeichnet seine Form des Tanzes, in dem er klassisches Ballett mit modernen und zeitgenössischen Elementen verbindet, als psychologisches Ballett-Theater. Bei allen Klischees, die mit der russischen Seele verbunden sind: Eifman selbst scheut sich nicht, über die Regungen der Seele zu sprechen. Wer britisches Understatement, nüchterne Distanz oder postmoderne Performance liebt, ist bei Eifman fehl am Platz.

"Rodin musste weiter und immer weiter gehen. Und Camille Claudel war das Opfer dieses Bildhauer-Monsters namens Rodin. Diese psychologische Welt wollte ich in meinem Stück darstellen. Dabei dachte ich auch an unsere berühmte Dichterin Anna Achmatowa, die ein Gedicht darüber geschrieben hat, aus welchem Müll bisweilen Gedichte entstehen. Und das gilt ganz allgemein für Kunst, nicht nur bei Rodin, auch bei Tschaikowski. Die Künstler schaffen Meisterwerke, aber zu welchem Preis, mit wieviel Qualen und unmoralischen Verhalten. Alles nur, um zu einem Meisterwerk zu gelangen."

Bis heute ist es nicht immer leicht für Boris Eifman, geeignete Tänzer und Tänzerinnen zu finden. Denn sie müssen einerseits ein sehr hohes technisches Niveau aufweisen, sich andererseits aber auch sich dieser Art von hochdramatischem Ballett-Theater verschreiben wollen. Nicht jeder sei dazu in der Lage, meint Eifman.

"Der Mann, der Neues wagt"

Seit den 1990er Jahren gastiert sein Ensemble immer häufiger auf internationalen Bühnen, manchmal ist die Truppe das halbe Jahr auf Tournee. Das ist ein markanter Unterscheid zur Sowjetzeit, als keine Ausreiseerlaubnis erhielt. Der zweite Unterschied: Heute kann ihn eine Medienkritik stören oder persönlich verletzen. Sie hat aber keine politischen Konsequenzen, wie das in der Sowjetzeit selbst ein positiver internationaler Medienbericht haben konnte.

Als der Korrespondent der "New York Times" einmal in seiner Begeisterung Eifman als "den Mann, der Neues wagt" beschrieb, wurde Eifman sofort einer offiziellen Befragung über seine Verbindungen zur renommierten Zeitung unterzogen. "Es war eben eine von zahllosen Episoden in seinem Leben", meint Eifman heute gelassen.

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