Theatercombinat: Theater trifft Stadtguerilla

Sie verwischt die Grenze zwischen Theater, Performance und Tanz und steht für Produktionen, die dem Publikum einiges abverlangen. Die deutsche Regisseurin Claudia Bosse hat sich mit ihrer Kompanie theatercombinat einen fixen Platz in der österreichischen Off-Szene erobert. In ihrem Großprojekt "Ideal Paradise" beschäftigt sich Bosse mit den Begriffen Paradies und Utopie. Morgen hat das Finale Premiere.

Kulturjournal, 20.6.2016

Prolog in der Baulücke

Theater als akustische Choreographie, oder räumliche Soundinstallation - wo "theatercombinat" draufsteht, ist mit Sicherheit kein konventionelles Theater drin. Diesmal beginnt die Reise in einer Baulücke im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Sie wird nach und nach von alienartigen Figuren bevölkert. Tänzer und Tänzerinnen in enganliegenden silbernen Overalls räkeln sich am Boden, verketten ihre Gliedmaßen ineinander, lassen voneinander ab, verlassen die Szene.

Doch die choreografische Intervention im Stadtraum ist nur eine Art Prolog, denn jetzt gehe es erst richtig los, so Regisseurin Claudia Bosse: "Die Baulücke ist nur der Anfangsort. Es wird drei verschiedene Orte geben. Wir starten in einem Areal, wo die Spuren eines abgerissenen Hauses zu sehen sind. Dieser Ort ist eine Lücke, ein Geschichtsraum, wo Gewesenes und Kommendes sich zueinander verhalten können, ein möglicher Ort und von hier startet dann der Spaziergang."

Inszenierte Erkundung des Stadtraums

Auf Geheiß der Prinzipalin, die als eine Art City-Guide höchstpersönlich in Erscheinung tritt, setzt sich das Publikum in Bewegung. Die Erkundung des Stadtraums wird zum Teil der Inszenierung. In einer situationistischen Geste arbeitet Claudia Bosse Begegnungen im Stadtraum in ihre Dramaturgie ein. Soll heißen: Bosse kommentiert, was sie sieht, beschreibt Menschen, die der Theaterprozession zufällig begegnen. Irritationen bleiben da natürlich nicht aus. Mitmachtheater als friedliche Stadtguerilla.

Seit 2015 befasst sich Claudia Bosse in "Ideal Paradise" mit Möglichkeiten des idealen Zusammenlebens. Jetzt präsentiert sie das Finale des Großprojekts: "‘Ideal Paradise‘ beschäftigt sich damit, welche Vorstellungen unsere Gesellschaft vom idealen Zusammenleben hat. Welche Vorstellungen von Alternativen gibt es? Welche utopischen Räume gibt es? Wie weit sind diese Gedanken von unseren kulturellen Traditionen geprägt, oder wie weit kann man andere Handlungsräume ergreifen. In diesem Fall in der Stadt", so Claudia Bosse.

Nach dem Ende der Utopie?

Insgesamt drei Stunden streift das Publikum durch die Stadt. Es heftet sich auf die Fersen des knapp 30-köpfigen Ensembles. Scheinbar aus dem Nichts heraus verdichten sich poetische Momente. Ein Highlight des Stadtspaziergangs: die Station im Altwaren- und Möbellager der Caritas am Mittersteig. Tänzerinnen und Laien performen inmitten angestaubter Gebrauchsgegenstände. Dort steckt jemand den Kopf in einen Kasten, da klettert jemand über Sofalandschaften. Die Körper der Akteure werden zur Skulptur.

Nicht zufällig erinnert man sich an den großen Franz West, der Tänzer bekanntlich eingeladen hat, Choreografien mit seinen Möbeln zu entwickeln. Stimmungsvolle Bühnenmomente entfaltet "Ideal Paradise" ohnedies vor allem, wenn die körperliche Präsenz der Akteure und Akteurinnen ins Zentrum gerückt wird.

Wie immer bei theatercombinat-Produktionen gibt es auch einen theoretischen Überbau, der sich aus verschiedenen kulturhistorischen und theoretischen Texten speist. In gewohnter Manier wird einiges durch den diskursiven Fleischwolf gedreht und verwurstet. Das Ergebnis mutet mitunter etwas prätentiös und allzu bemüht an.

Service

theatercombinat – Ideal Paradise
21. bis 25. juni 2016