UK: Übergriffe gegen Polen
Während die Politiker in Großbritannien den EU-Austritt eher hinauszögern wollen, kann es manchen Brexit-Befürwortern gar nicht schnell genug gehen: Sie wollen vor allem Konsequenzen beim Thema Einwanderung sehen - und werden offenbar selbst aktiv. Meldungen bei der Polizei über fremdenfeindliche Vorfälle und Anfeindungen sind gestiegen, vereinzelt gab es auch tätliche Angriffe. Betroffen sind vor allem osteuropäische Zuwanderer. Die größte Gruppe in Großbritannien sind die rund 880.000 Polen.
27. April 2017, 15:40
Polen wurden selbst im weltoffenen London zur Zielscheibe. Ein Kulturzentrum im Westen der Stadt wurde mit fremdenfeindlichen Graffitis beschmiert. Die polnische Gemeinschaft reagiert verunsichert, manche spielen mit dem Gedanken ihre neue Heimat zu verlassen.
Mittagsjournal, 29.6.2016
Ein Stimmungsbericht aus der Küstenstadt Southampton, wo zehn Prozent der Bevölkerung aus Polen kommen,
"Rausgewählt"
In Southampton leben mehr Polen als in jeder anderen britischen Stadt, etwa 25.000 haben sich hier niedergelassen, viele von ihnen wohnen entlang der Shirley Road, einer langen, geraden Ausfallstraße im Westen der Stadt. In den kleinen Kaufmannsläden sind die Regale voll mit polnischen Delikatessen und verschiedene polnische Biersorten. Es gibt ein polnisches Reisebüro, einen polnischen Friseur und seit neuestem auch ein Restaurant. Die Stimmung ist seit dem Ja zum Brexit gedrückt, Thomasz Dyl, Chef einer Marketingfirma hat große Sorge um sein Geschäft. Die Kunden sind mit ihrem Budget sparsamer geworden. Es wurden bereits etliche Aufträge storniert weil der Pfund Kurs gesunken ist.
Was Thomasz aber ebenso stark beschäftigt, ist die offen gezeigte Abneigung mancher Briten gegenüber seinen Landsleuten. Seine Mutter wurde während ihrer Arbeit an der Supermarktkassa von einem Kunden aufgefordert ihre Koffer zu packen und nach Polen zu gehen.
Seine Familie ist seit zwölf Jahren hier und hat so etwas noch nie erlebt. Im Pub treffe ich Renata Bogus und Przemyslaw Tryc, sie reden untereinander nicht in ihrer Muttersprache, in der Öffentlichkeit ist es im Moment besser nur englisch zu sprechen meint Renata, man will nicht als Pole auffallen. Renata ist Labour Aktivistin, Journalistin und Gewerkschafterin. Wenn wir als Teil dieser Gesellschaft nicht willkommen sind ist das sehr traurig, wir sind doch alle gleich, meint sie.
Przemyslaw Tryc ist Glasbläser er arbeitet an der Universität Southampton, stellt spezielle Gläser für chemische Experimente her. Er fühlt sich aus Großbritannien hinausgewählt: Wenn sie mir meine Pension auszahlen bin ich nächsten Monat weg, sagt er.
Bei SOS-Polonia, einer Anlaufstelle für polnische Zuwanderer ist eine Mitarbeiterin rund um die Uhr damit beschäftigt britische Pässe zu beantragen. Viele Polen wollen auf Nummer sicher gehen, sagt Barbara Storey, bevor die Personenfreizügigkeit endet. Storey gibt sich kämpferisch. Ja es gibt Anfeindungen, aber wir dürfen nicht in einer Opferrolle verfallen sondern unseren Kopf hoch halten: Die Polen haben den zweiten Weltkrieg und den Kommunismus überlebt. Dann werden sie auch mit dem Brexit fertig werden. Es beginnt in Southampton zu regnen, ein vertrauter Anblick für die Zuwanderer, aber die Heimat Großbritannien ist mit einem Mal für sie fremd geworden.