Havannas Kultur- und Literaturszene
Die Karibikinsel Kuba öffnet und verändert sich. Der große Nachbar USA gibt seine Blockadepolitik mehr und mehr auf, Barack Obama kam zum Staatsbesuch nach Havanna, auch die Rolling Stones und der Papst waren da. Und in der hiesigen Kultur- und Literaturszene ist einiges in Bewegung geraten. Was bleibt also vom Experiment der Kommunisten rund um Fidel Castro, der am 13. August seinen 90. Geburtstag feiert?
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 12.8.2016
Holger Heimann
Die Fortaleza de San Carlos de la Cabana hoch über der Einfahrt zum alten Hafen von Havanna ist eine gigantische Festung, die einmal dem Schutz der Stadt diente. Doch die Burg wurde längst umgewidmet und beherbergt eine der wohl stimmungsvollsten Buchmessen Lateinamerikas. Alljährlich machen sich hunderttausende Kubaner auf den Weg zur Festung, von Havanna aus zieht die Buchmesse dann weiter durch das Land und macht Station in allen größeren Städten.
Stolz auf das Bildungssystem
Die Losung "Leer es crecer" (Lesen heißt wachsen) begleitet die Bücherschau. Kubas Wirtschaft liegt zwar darnieder, aber auf ihr Bildungssystem sind die Kubaner noch immer stolz - und das zu Recht. Nirgendwo sonst in Lateinamerika und der Karibik ist der Lesehunger so groß. Von der intellektuellen Neugier der Kubaner fühlt sich die Berlinerin Michi Strausfeld schon lange angezogen. Seit 40 Jahren bringt sie lateinamerikanische Literatur nach Deutschland.
Seit längerem schon ist sie auf der Suche nach dem Roman, der von der Wendezeit in Kuba erzählt. "Die Buchläden sind wie üblich leer. Das wenige, was erscheint, erscheint zur Buchmesse. Und deshalb stürzen alle Kubaner zur Messe und versuchen dort ihre Bücher zu kaufen. Im Rest des Jahres wird es dann schwieriger. Ob es zu einer Nachauflage kommt, weiß man ja nie."
Verlage leiden unter Engpässen
Für Michi Strausfeld wird es eine mühsame und schwierige Suche. Viele kubanische Autoren bevorzugen die kurze Form und schreiben mehr Erzählungen und Gedichte als Romane. Hinzu kommt, dass die staatliche Verlagsindustrie subventioniert wird, die finanzielle Unterstützung jedoch zusehends geringer ausfällt. Auch deswegen leiden die Verlage immer wieder unter eklatanten Engpässen. Häufig fehlt es am Elementarsten.
Der Lyriker und Veranstaltungsmacher David Curbelo erklärt das mit der Abhängigkeit von Importen: "Es ist nicht so, dass es kein Papier gibt, sondern dass wir es importieren müssen. Vor zwei Jahren haben wir versucht, das Papier selbst herzustellen, in Zusammenarbeit mit Frankreich. Aber das hat nicht funktioniert, die Qualität war unzureichend. Und so haben wir es mit Blick auf andere wirtschaftlich wichtige Dinge in Kuba wieder sein lassen. Alle Materialien, die für die Buchproduktion notwendig sind, werden importiert: die Tinte, das Papier, sogar die Computer. Deshalb sind die Produktionskosten hoch und die Regierung muss die Produktion subventionieren."
"1984" neu aufgelegt
Die Auswirkungen des Mangels lassen sich in den Buchläden besichtigen. Viele Regale in den Geschäften Havannas sind nur spärlich bestückt. Vorrätig sind lediglich die Bücher, in denen die Helden der Revolution gefeiert werden - vorneweg Che Guevara und Fidel Castro. Die Erklärung ist einfach, es sind die Titel, die in den Regalen verstauben, weil sie kaum jemand kauft. George Orwells "1984" hingegen wird gewiss nicht zum Ladenhüter. Der Klassiker wurde vor Kurzem neu aufgelegt.
Zu Beginn der 60er Jahre gab es schon einmal eine kubanische Ausgabe. Es waren die freien Jahre, unmittelbar nach der Revolution. Danach aber änderte sich vieles und das Buch, das von der Zerstörung des Menschen durch eine totalitäre Staatsmaschinerie erzählt, verschwand aus der kubanischen Öffentlichkeit. Dass es jetzt wieder zu haben ist, lässt sich durchaus als Ausdruck einer zunehmenden Offenheit lesen. Davon profitieren auch die kubanischen Schriftsteller.
Autoren profitieren von Öffnung
Der bekannteste und international erfolgreichste unter ihnen, Leonardo Padura, hat mit seinen Büchern eine Art Chronik des kubanischen Lebens seit der Revolution verfasst - ohne die Schattenseiten auszusparen. Er kennt die Bedingungen einer Autorenexistenz auf der Karibikinsel.
"Der kubanische Schriftsteller bewegt sich in einem Spiel zwischen dem, was er sagen darf und dem, was er nicht sagen darf. Aber der Bereich dessen, was eigentlich nicht ausgesprochen werden soll, wird immer mehr von den Schriftstellern erschlossen. Ich selbst glaube, dass ich es mittlerweile geschafft habe, alles zu sagen, was ich sagen will, allerdings in einer künstlerischen Form", sagt Padura.
"Die Essenz der Macht bleibt unverändert"
In seinem im Vorjahr ins Deutsche übersetzten Roman "Die Palme und der Stern" erzählt Padura von Fernando, einem jungen Schriftsteller, der ins Exil gezwungen wird und nach Jahrzehnten zurückkehrt in die alte, ihm fremd gewordene Heimat. Er will herauszufinden, wer ihn dereinst verraten hat, zugleich aber sucht er nach einem verschollenen Manuskript des berühmten kubanischen Dichters Heredia. Indem Padura Heredias und Fernandos Geschichte parallel erzählt, wird der Konflikt zwischen dem Intellektuellen und der Staatsmacht als Kontinuum kubanischer Geschichte über die Jahrhunderte hinweg kenntlich.
"Ich glaube, dass der Konflikt des Intellektuellen mit der Gesellschaft und den Mächtigen nahezu immer der gleiche ist", sagt Padura. "Das Problem ist nicht, was die Intellektuellen tun oder tun möchten, sondern dass die Essenz der Macht stets mehr oder weniger unverändert bleibt. Macht bedeutet Kontrolle und Kunst bedeutet Freiheit. Kontrolle und Freiheit werden immer miteinander in Konflikt geraten."
Partei vorerst unantastbar
Es ist ein Konflikt, der in Kuba lange Zeit auf extreme Weise ausgetragen wurde: Entweder man war Freund oder Feind. Mittlerweile ist die Kompromissbereitschaft gewachsen, sind die Spielräume größer geworden in und um Havanna. Aber die Kubaner wissen auch, wo nach wie vor die Grenzen sind: Sie dürfen die Missstände im Land kritisieren, nicht jedoch die Ablösung der Regierung verlangen. Die kommunistische Partei bleibt vorerst unantastbar.
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Feira Internacional del Libro
Leonardo Padura, "Die Palme und der Stern", Unionsverlag