Vermisste Kinder in Europa
In Österreich sind heuer und im Vorjahr 2.600 Minderjährige aus Nicht-EU-Staaten als vermisst gemeldet worden. 520 gelten immer noch als vermisst. Die meisten dürften asylsuchende Minderjährige sein. Das Problem ist, dass nicht gezielt überprüft werden kann, ob sie in anderen EU-Staaten wieder aufgetaucht sind. Es gibt zwar mehrere europäische Polizei-Datenbanken, die sind aber nicht vernetzt. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass Flüchtlingskinder Opfer von Menschenhandel oder Prostitution geworden sind.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 30.8.2016
Suche unmöglich
Das Thema ist offenbar heikel. Denn weder vom österreichischen Bundeskriminalamt noch von Europol war heute dazu ein Interview zu bekommen. Aber die inhaltlichen Auskünfte sind übereinstimmend.
Von Asylsuchenden, die angeben, dass sie unter 14 Jahre alt sind, werden derzeit in der EU keine Fingerabdrücke genommen. Und alleine schon deshalb kann nicht oder kaum überprüft werden, ob 230 Unter-14-Jährige aus Nicht-EU-Staaten, die in Österreich noch als vermisst gelten, in einem anderen Staat wieder aufgetaucht sind. Es kann vor allem dann nicht überprüft werden, wenn sie dort einen anderen Namen angeben.
Das zweite Problem: Über 14 Jahre alte Asylwerber werden zwar EU-weit mit Fingerabdrücken in der sogenannten Eurodac-Datenbank erfasst. Aber es ist nicht zulässig im Eurodac-System nach vermissten Jugendlichen zu suchen. Das wäre nur dann zulässig, wenn es einen konkreten Hinweis auf ein Verbrechen gibt - zum Beispiel auf Menschenhandel oder Ausbeutung in der Prostitution.
Problem Nummer 3: Die Daten von Vermissten werden in eine andere Datenbank, nämlich das SIS, das EU-weite Schengener Informationssystem eingegeben. Aber da kann man keine Fingerabdrücke abfragen sondern nur Namen. Wenn aber minderjährige Asylsuchende unterschiedliche Namen angeben - unter Umständen auch, weil sie von Menschenhändlern dazu gezwungen würden - dann würden sie nicht aufscheinen. Laut Verantwortlichen im Bundeskriminalamt gibt es derzeit in Österreich aber keinen Fall, wo im Zusammenhang mit dem Verschwinden minderjähriger Asylwerber ein konkreter Verdacht von Menschenhandel oder Ausbeutung in der Prostitution bekannt wurde. Es soll nur vorkommen, dass einzelne Asylwerber freiwillig der Prostitution nachgehen.
Dem Vernehmen nach sind Österreich und das Bundeskriminalamt bemüht, eine Verbesserung zustande zu bringen, was die Datenbank-Suche betrifft. Die EU-Kommission plant in einer neuen Verordnung, dass auch die Fingerabdrücke von unter 14-jährigen genommen werden - nämlich schon ab dem Alter von 6 Jahren. Denn was ursprünglich wohl aus Datenschutz- und Kinderrechts-Gründen nicht gemacht wurde, könnte den Minderjährigen Asylsuchenden ja schaden - nämlich, falls sie Opfer von Menschenhändlern werden.
Aber selbst wenn die EU die drei genannten Probleme löst, bliebe ein Viertes: Einige EU-Staaten sind überfordert oder zurückhaltend was die Fingerabdruck-Speicherung von Asylsuchenden betrifft. Die Erfahrung im Vorjahr hat gezeigt: Man hofft, dass sie weiterreisen in ein anderes Land und nicht mehr zurückgeschickt werden. Auch das könnte natürlich die Suche nach Vermissten erschweren.