Amokfahrer-Prozess: Gutachter am Wort

Mit der Befragung mehrerer Gerichts-Gutachter ist heute in Graz der Amokfahrer-Prozess fortgesetzt worden. Dabei hat sich herausgestellt, dass der 27-Jährige nicht mit 80 km/h durch die Grazer Innenstadt gefahren sein dürfte, wie das die Staatsanwaltschaft vermutet, sondern mit 50 bis maximal 70 km/h. Ein Thema war auch der psychische Zustand des Angeklagten. Laut einem Toxikologen dürfte er ein starker Cannabis- und Marihuana-Raucher gewesen sein. Und das kann ein Mitgrund für Angstzustände sein, so ein psychiatrischer Gutachter.

Mittagsjournal, 21.9.2016

Aus Graz,

Gerichtssaal

APA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL

Ein Toxikologe hat unmittelbar nach der Amokfahrt das Blut des 27-jährigen Tatverdächtigen untersucht. Er hat weder Alkohol noch Medikamente aber ein Cannabis-Abbauprodukt entdeckt.
Heißen die Ergebnisse, dass er ein starker Cannabis-Raucher war, will der Richter wissen. Ja, sagt der Toxikologe Manfred Kollroser. Der Amokfahrer habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mehrmals Cannabis konsumiert – und zwar erhebliche Mengen.

Und es bestehe der Verdacht auf chronischen Cannabis-Konsum. Denn im Blut des 27-Jährigen sind 110 Nanogramm pro Volumseinheit eines Cannabis-Abbauprodukts festgestellt worden. Ab 150 Nanogramm - also knapp mehr - hätte der Mann in Deutschland – wegen dauerhaften Cannabis-Konsums - nicht mehr Autofahren dürfen, so der Gutachter. Unmittelbar vor der Fahrt durch die Grazer Innenstadt habe der 27-Jährige nicht Cannabis konsumiert. Aber der Grazer psychiatrische Gutachter Manfred Walzl geht davon aus, dass die Angstvorstellungen des Amokfahrers damit zusammen hängen. Im Antrag der Staatsanwaltschaft heißt es, laut Walzl liege unter anderem eine psychische Störung durch den schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden vor.

Befragt wurde hier am Gericht heute auch ein Kfz-Sachverständiger. Da ging es zumindest indirekt um die Frage, ob der Amokfahrer wirklich gezielt Menschen töten wollte. Hat der 27-jährige den Airbag abgeschaltet oder manipuliert, um nach Zusammenstößen weiterfahren zu können, will der Richter wissen. Nein, hat er nicht, dafür gebe es keinen Hinweis, lautet die Antwort des Sachverständigen Peter Vyskozil. Und er schätzt dann anhand eines Videos die Geschwindigkeit des Geländewagens auf nur - unter Anführungszeichen - 50 km/h, während die Staatsanwaltschaft 80 km/h vermutet hat. Der medizinische Gutachter Peter Leinzinger geht von 50 km/h aus bis maximal 70 km/h. Leinzinger schließt das aus den Verletzungen der drei Todesopfer.

Der wieder ganz in weiß gekleidete Amokfahrer selbst, sagt heute mehrmals und gleichlautend: Mir tut das ganze furchtbar leid, ich bin selbst Opfer und kann mich an die Fahrt nicht erinnern. Cannabis habe er nicht konsumiert nur verschiedene Tees. Aber bei ihm zu Hause ist laut Staatsanwaltschaft Zubehör für eine Grow-Box ein kleines Gewächshaus zur Aufzucht von Cannabis-Pflanzen entdeckt worden.

Kurz am Wort waren heute auch die psychiatrischen Gutachter. Sie sind ja unterschiedlicher Meinung darüber, ob der Mann zurechnungsfähig war und ob er somit beispielsweise zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden kann. Dabei hat sich herausgestellt: Der Mann bekommt derzeit hohe, geradezu überdosierte Mengen an Psychopharmaka und dürfte laut den Gutachtern auch deshalb so ruhig sein. Ob er tatsächlich an paranoider Schizophrenie leidet und somit wohl unzurechnungsfähig wäre, scheint auch laut dem deutschen Gutachter Jürgen Müller nicht ganz sicher zu sein. Oft, so Müller könne es Jahre dauern, bis man zu einer endgültigen Diagnose kommt.