Bibelessay zu Lukas 21, 5 – 19
Strahlend geht die Sonne auf. Ihr rötlich goldenes Licht läuft über den feinen Sand zu den Palmen und taucht die gewaltigen Bauwerke in Farbe. Eine meiner vielen Erinnerungen an Palmyra, die Oasenstadt in der Syrischen Wüste. Oft habe ich sie besucht, zuletzt vor sieben Jahren.
8. April 2017, 21:58
Palmyra: Prächtig die Kolonnadenstraße, elf Meter breit und gut einen Kilometer lang. An ihrem Ende das größte Monument Palmyras, der Tempel des Bel. Wie Jupiter ist Bel im Symbol des Adlers dargestellt und als Herr des Himmels verehrt worden. Die Einweihung des Bel-Tempels ist genau datiert: im Jahr 32 n.Chr., am 6. Nisan, dem babylonischen Neujahrsfest, an dem man den Weltenbeginn feierte. – Am 30. August 2015 haben IS-Terroristen diesen Tempel, einen der bedeutendsten im Nahen Osten, gesprengt und zerstört.
„Kein Stein des Tempels wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen werden“ (V.6), so hat es am Anfang dieses Bibeltextes geheißen. Klar: Hier ist der Tempel von Jerusalem gemeint. Genauer gesagt jener, den Herodes der Große großzügig umbauen und prunkvoll ausgestalten lässt. Doch kaum drei Generationen lang kann man in diesen Herodianischen Tempel hinauf pilgern; dann erlischt sein Glanz. Denn Titus, Kaiser Vespasians Sohn, beendet den Jüdischen Krieg mit der Eroberung und Zerstörung Jerusalems. Der Tempel wird all seiner Schätze beraubt und niedergebrannt, bis auf die Grundmauern. Im Jahre 70 n.Chr.
Ein bis zwei Dezennien später, also zwischen 80 und 90 n.Chr., verfasst Lukas sein Evangelium. Das Bibelwort zum heutigen Sonntag bildet den ersten Teil von Jesu „Rede über die Endzeit“. Wohl hält sich Lukas an die Vorlage des Markus, er lässt aber Jesus auf die veränderte Situation der Kirche reagieren. Verfolgungen durch jüdische und römische Instanzen verdichten sich: „Aber bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen“ (V.12a), so die Einheitsübersetzung. Besser gefällt mir der sprachliche Duktus der Luther-Bibel: „Aber vor diesem allen werden sie Hand an euch legen und euch verfolgen“. Und dann, nicht mehr wie bei Markus erst in der Endzeit, sondern bereits harte Realität: „Sie werden euch den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und euch vor Könige und Statthalter bringen“ (V.12b). Christen müssen Zeugnis geben für ihren Glauben.
Auch in seinem zweiten Werk, der Apostelgeschichte, zeigt der Evangelist Lukas, wie sehr die junge Kirche das Geschick ihres Meisters zu teilen hat: Stephanus, der erste Märtyrer. Doch wie er, so sollen sich auch die Jünger Jesu keine Sorgen machen um ihre Verteidigung. „Egó, ich selbst“, betont Jesus im griechischen Originaltext, „ich werde euch geben stóma, Mund, und sophía, Weisheit, der alle eure Gegner nicht widerstehen noch widersprechen können“ (V.15). Ermutigend und aufbauend auch die abschließende Zusage, die sich gleichfalls nur bei Lukas findet: „Euch wird kein Haar gekrümmt werden“ (V.18). Und als kraftvolles Finale, von der Moll aller irdischen Bedrängnisse in die helle Dur der Bewährung: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (V.19).
Verfolgt werden um meines Glaubens willen: das habe ich selber nie erlebt. Ich kenne es aber von meinen Begegnungen in Ländern des ehemaligen Ostblocks. Und wie froh bin ich als einer, der an der Grenze zu Tschechien geboren ist – ich bin wirklich glücklich, dass die Berliner Mauer und der Eiserne Vorhang gefallen sind. „Kein Stein ist auf dem andern geblieben“: Schon seit Jahren hat sich für mich ein apokalyptisches Bild in ein Zeichen der Hoffnung verwandelt...