"Das kalte Herz": Klassenkampf im Fantasyfilm
Alles andere als ein vorweihnachtliches Kinomärchen für die ganze Familie ist Johannes Nabers Verfilmung von Wilhelm Hauffs Schwarzwaldsage "Das kalte Herz": Aus einer phantastisch angehauchten und magisch gezeichneten Welt heraus erzählt Naber parabelhaft von Neid und Unterdrückung in einer Zweiklassengesellschaft.
8. April 2017, 21:58
In den Hauptrollen sind der deutsche Nachwuchsschauspieler Frederick Lau, Moritz Bleibtreu sowie Milan Peschel zu sehen. Ab diese Woche in den heimischen Kinos.
Kulturjournal, 28.11.2016
1827 veröffentlichte Johannes Hauff "Das kalte Herz" in seinem "Märchenalmanach". Ein Stoff, der seit den 1920er Jahren immer wieder für Hörspiele, Kino und Bühne adaptiert worden ist. Im Jahr 1950 kam der gleichnamige DEFA-Film in die ostdeutschen Kinos, in den 70er Jahren griff das ZDF die Erzählung in einer sechsteiligen Fernsehserie auf, und 2014 inszenierte Armin Petras "Das kalte Herz" am Schauspiel Stuttgart. Nun hat sich Johannes Naber, bekannt etwa für seine Kapitalismus-Satire "Zeit der Kannibalen", des Stoffes angenommen.
Naber erzählt aus einer phantastisch angehauchten und magisch gezeichneten Welt heraus, parabelhaft von Neid und Unterdrückung in einer Zweiklassengesellschaft. Von der Ausbeutung der Natur in der Profitgier des Frühkapitalismus, oder wie es im Film heißt: "Vom Menschen, der sich über die Natur stellt."
Regisseur Johannes Naber: "Märchen entführen in eine andere Welt. Und da ist es möglich, viel universeller zu berichten. Es entführt in eine phantastische Vereinbarung, die von allen geteilt wird. Das ist ein Kulturgut."
Auf Kosten der Solidarität
Der Mensch steht hier zwischen magischen Mächten: Auf der einen Seite das Gute - das Glasmännchen, Waldgeister, Fabelwesen, die Wünsche erfüllen können. Auf der anderen Seite das Dämonische, der Holländer Michl, der verbannt in eine Schlucht sich einst in seiner Gier das Herz herausgeschnitten hat, und einen faustischen Pakt eingegangen ist.
Würde man die Metapher, dass ein Herz von einem Stein ersetz wird, auf unsere Welt übertragen, so könnte man sagen, "dass die Verführung für den Menschen groß ist, sich hart zu machen, um den vermeintlichen Anforderungen, die das Leben an sie stellt, besser Herr werden zu können", so Naber. "Das ist eine starke Verführung, aber die führt natürlich auch dazu, dass der Gesellschaft sehr viel verloren geht - an Mitgefühl, an Solidarität."
Schneller Aufstieg, tiefer Fall
Im Zentrum der Geschichte steht der gutmütige Kohlebrenner Peter Munk. Einer, der ganz unten rangiert in der kapitalistischen Fressordnung, die über den Holzhandel Einzug in den Schwarzwald gehalten hat. Aus Verzweiflung und aus Liebe zur Tochter des reichen Glasbrenners wendet sich Munk mit törichten Wünschen an das Glasmännchen: Er will der beste Tänzer sein und viel Geld haben.
Wilhelm Hauffs Schwarzwaldsage erzählt von schnellem Aufstieg und von noch tieferem Fall. Eine Geschichte der großen Wendungen, die auch nicht davor zurückscheut, Figuren in den Abgrund zu stoßen. Der Kohlebrenner Munk ist in seiner Gutgläubigkeit dem Guten ebenso zugeneigt wie dem Bösen, verfällt schließlich dem Lockruf des Geldes.
Phantastisch angehauchtes Kino
Die Ambivalenz der Figuren bettet Johannes Naber in eine Welt ein, in der es klare Hierarchien gibt, die Reichen teilen aus, die Armen stecken ein: Demütigungen, Prügel und Ungerechtigkeiten. Aber Naber erzählt von alledem nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern eben parabelhaft, aus einer Welt heraus, die kulturell nicht in der Realität verortbar ist.
Nabers visuelle Umsetzung wirkt manchmal so, als wären zwei Regisseure an der Arbeit gewesen: Naber kreiert zum einen überhöhte Szenerien und spielt mit den Mitteln des Kinos, zum anderen habe er dem Publikum aber in seinen Märchen-Sehgewohnheiten entgegenkommen wollen. Das Ergebnis ist phantastisch angehauchtes Kino, das eine große Erzählung auf die Leinwand bringt, inklusive Sonntagnachmittagsfernsehfilmmomenten.