AFP/KAREN MINASYAN
Journal-Panorama
Armenien: Noch immer im Banne des Karabach-Konflikts
Bis April 2016 waren die Sahakians eine ganz normale armenische Familie: Mit ihren beiden gerade erwachsenen Söhnen lebten sie in einer winzigen Wohnung in einem baufälligen Haus im Zentrum der Hauptstadt Jerevan.
31. Dezember 2017, 23:59
Doch dann änderte sich für sie alles: Ihr jüngerer Sohn Adam wurde getötet – bei den schweren Kämpfen zwischen armenischen und aserischen Truppen in Berg-Karabach im April des Vorjahrs. Der 19-jährige Rekrut hatte es geschafft, seine Stellung fünf Stunden lang gegen die aserischen Angriffe zu halten – bevor er fiel.
7 Tage Ö1
Journal Panorama - Armenien - Stolz, arm, zu klein zum Scheitern (bis 6.06.2017]
Während der Aprilkämpfe in Berg Karabach wurden auf beiden Seiten 110 Soldaten und Zivilisten getötet. Adam Sahakian wird seither in Armenien als Held verehrt. Warum er als junger armenischer Soldat in Berg Karabach dienen und sterben musste, das ja völkerrechtlich weiterhin zu Aserbaidschan gehört, fragen sich seine Eltern nicht. Es sei Adams Wunsch gewesen, seinen Militärdienst in Karabach zu leisten, sagt seine Mutter. Natürlich sei sie sehr traurig– aber auch stolz, weil Adam beim Verteidigen seiner Heimat zum Märtyrer geworden sei.
ORF/ELISA VASS
Adams einziger Bruder Muschech ist 22 Jahre alt. Er muss nicht zum Militär, da er ein Familienmitglied verloren hat - es sei denn, es brechen wieder Kämpfe aus - dann müsste auch er einrücken.
Ungelöster Konflikt seit bald 30 Jahren
Wie eine dunkle Wolke schwebt der ungelöste Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region in Aserbaidschan nicht nur über der kleinen, traurigen Familie, sondern über dem ganzen Land.
Anfang der 1990er Jahre spaltete sich die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region von Aserbaidschan ab, der Konflikt weitete sich zu einem erbitterten, verlustreichen Krieg zwischen den beiden ehemaligen Sowjet-Nachbarrepubliken aus - mit zehntausenden Toten und hunderttausenden Flüchtlingen auf beiden Seiten.
AFP/KAREN MINASYAN
Aserbaidschan wirft Armenien vor, das Gebiet rechtswidrig besetzt zu halten; Kein Staat der Welt hat Berg-Karabach als eigenes Land anerkannt. Der 1994 geschlossene Waffenstillstand ist brüchig; immer wieder kommt es zu Scharmützeln; offiziell befinden sich Armenien und Aserbaidschan noch immer im Kriegszustand.
Der amerikanisch-armenische Politologe Richard Giragossian sieht die Gefahr, dass es wieder zu Kämpfen kommt.
Er glaubt, dass die Versuchung der Aseris, wieder anzugreifen, sehr groß ist. Denn für die Regierung in Baku war die kurze Offensive eine gute Gelegenheit, von eigenen wirtschaftlichen Problemen abzulenken.
Auch in Armenien ist der Außenfeind für die Regierung immer wieder willkommen, um von den Missständen im eigenen Land abzulenken. So hat der Karabach-Konflikt dem derzeitigen starken Mann Armeniens, Präsident Sersch Sarksian, geholfen, sich seit zehn Jahren an der Macht zu halten - trotz der wirtschaftlichen und politischen Schwäche des Landes.
Ein Friedensschluss scheint nach den Kämpfen im vergangenen Jahr weiter entfernt denn je. Das meint auch Haik Toroyan. Der junge Mann arbeitet für die unabhängige finnische Organisation Crisis Management Initiative und bemüht sich auf der Ebene der Zivilgesellschaft seit Jahren darum, Brücken zwischen Armenien und Aserbaidschan zu bauen. Nun aber sei alle Kommunikation zusammengebrochen. Durch die nationalistische Propaganda der vergangenen 15 Jahre sei die Kompromissfähigkeit beider Länder gegen Null gesunken.
ORF/ELISA VASS
Wirtschaft leidet unter den schlechten Beziehungen
Frieden ja - aber nicht um jeden Preis - diese Meinung hört man in Armenien oft.
Aserbaidschan ist nicht der einzige Nachbar, mit dem das Kaukasus-Binnenland mit seinen 30.000 Quadratkilometern und seinen knapp drei Millionen Einwohnern Probleme hat. So wie zu Aserbaidschan, gibt es auch zur Türkei noch immer keine diplomatischen Beziehungen – wegen des 1915 von der damaligen Regierung begangenen Völkermord an bis zu eineinhalb Millionen Armeniern.
AFP/KAREN MINASYAN
Karen Karapetian
Die Grenzen zu beiden Ländern sind dicht, nicht nur für die Menschen, sondern auch für den Warenverkehr. Für die ohnehin schwache armenische Wirtschaft ist das eine Katastrophe. Der armenische Ministerpräsident Karen Karapetian ist vor neun Monaten angetreten, vor allem um die Wirtschaft des Landes voranzutreiben. Bei den Parlamentswahlen Anfang April wurde die Vormachtstellung seiner Republikanischen Partei bestätigt.
Natürlich wolle sein Land Frieden, sagt Karapetian im Interview mit dem ORF-Radio. Wenn aber Aserbaidschan nicht konstruktiv sei, was solle man machen? Auch Israel sei es in einer sehr schwierigen geopolitischen Lage gelungen, seine Wirtschaft voranzutreiben und einen Aufschwung zu schaffen.
Allerdings: Was die armenische Wirtschaft derzeit behindert, sind nicht nur die schwierigen Beziehungen zu zwei Nachbarländern. Auch die wirtschaftliche Dominanz Russlands spielt eine Rolle – ebenso wie die weit verbreitete Korruption, die oligarchischen, intransparenten Strukturen und die politische wie auch ökonomische Vormachtstellung der regierenden Republikanischen Partei.
Armenien hat noch einen langen Weg vor sich; Hoffnung geben laut dem Politologen Richard Giragossian aber die Zivilgesellschaft, die immer stärker wird, sowie eine neue Politikergeneration, die in den Startlöchern steht. Armenien sei klein und überschaubar – dadurch seien aber auch Veränderungen leichter durchführbar.