Eine Frau vor dem deYoung museum in San Francisco

JOSH EDELSON / AFP

Liebe, Pop, Revolte

"The Summer of Love Experience" im de Young Museum

Sie waren gegen den Vietnamkrieg und rebellierten gegen die Enge der bürgerlichen Ordnung. In den 1960er begehrten die Kinder der Wohlstandsgesellschaft auf. Auto und Eigenheim, die leeren Versprechen des Konsumkapitalismus, waren ihnen nicht genug. 1967 erreichte die Hippiebewegung im legendären "Summer of Love" ihren Höhe- und Endpunkt. Tausende junge Menschen zog es aus der US-amerikanischen Suburbia nach San Francisco.

Kulturjournal, 18.7.2017

Christine Scheucher

Liebe, Pop, Revolte

"Turn on, tune in, drop out", LSD-Pabst Timothy Leary gab das Motto dieses Sommers aus, der eigentlich schon im Jänner 1967 begonnen hat, beim so genannten Human Be-In im Golden Gate Park. Beatnik-Poet Allen Ginsberg sang mit den rund 30.000 Besuchern und Besucherinnen ein Mantra, lokale Bands traten auf und Timothy Leary gefiel sich in der Rolle des Gurus.

Dem Ruf nach Bewusstseinserweiterung und Selbstverwirklichung - ob mit oder ohne Hilfe chemischer Substanzen - folgten im Sommer 1967 Tausende Teenager. Learys "drop out" nahmen sie wörtlich. Statt die Schulbank zu drücken floh eine Heerschar meist weißer Mittelklassekinder von der spießigen US-amerikanischen Suburbia ins gelobte Land und das trug damals den klingenden Namen Haight Ashbury.

Raus aus Suburbia!

Im de Young Museum im Golden Gate Park, wo der "Summer of Love" seinen Anfang genommen hat, widmet sich die Ausstellung "The Summer of Love Experience" der Geschichte des Hippieviertels Haight Ashbury.

Max Hollein

Courtesy of the Fine Arts Museums of San Francisco

Max Hollein, Direktor der Fine Arts Museums of San Francisco

"Der 'Summer of Love' ist Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung der 1960er Jahre, die es natürlich auch in Europa in der Studentenbewegung gegeben hat. In Berlin, Paris und Prag sind junge Leute auf die Straße gegangen und haben ihren Unmut mit dem herrschenden System lautstark artikuliert. San Francisco war besonders, weil sich der Protest hier vor allem in einer kulturellen Revolution manifestiert hat. Musik, Kunst und Design spielten in Haight Ashbury eine zentrale Rolle", sagt Max Hollein, der 2016 von der Schirn Kunsthalle in Frankfurt nach San Francisco wechselte und seither die Fine Arts Museums of San Francisco leitet. Neben dem de Young Museum ist Hollein auch für das Haus Legion of Honor zuständig.

Ein großer Teil der Ausstellung "The Summer of Love Experience" widmet sich der Mode und dem Grafikdesign der Gegenkultur, die sich Mitte der 1960er Jahre im ehemaligen Arbeiterviertel Haight Ashbury eingenistet hat. Anders als in Swinging London, das mit schicken Miniröcken und geometrischen Frisuren aus der Schule des Star-Coiffeurs Vidal Sassoon den Zeitgeist prägte, gibt sich die Hippiemode eklektisch: In Haight-Ashbury erfanden junge Menschen einen wilden Modemix aus Vintage-Klamotten: Sie kombinierten Fantasieuniformen zu wallenden Röcken und Cowboystiefel zu Glockenhosen. Anything goes!

Als die Blumen der Flower-Power-Bewegung verwelkten

Die Art-Direktoren der Zeit entwarfen vor allem Poster für die zahlreichen Konzerte, die in den legendären Clubs Avalon Ballroom und Filmore Auditorium gespielt wurden. Hier gaben sich Hippie-Bands wie The Greatful Dead und Jefferson Airplane ein Stelldichein. Die Poster waren ganz im psychedelischen Stil gehalten und wichen von den klassischen Regeln des Informationsdesigns entschieden ab. Die Buchstaben verschwammen so sehr, dass die Schrift der Plakate oft kaum zu entziffern war.

Anleihen nahmen die Grafiker im Art Deco und im Expressionismus. "Die Hälfte der Objekte dieser Ausstellung kommen aus unserer eigenen Sammlung. Die Fine Arts Museums haben bereits in den 1970er Jahren ganz gezielt die kulturellen Manifestationen der Gegenkultur gesammelt. Wir haben eine der besten Sammlungen psychedelischer Poster weltweit", erklärt Direktor Max Hollein nicht ohne Stolz.

Der "Summer of Love" gilt bis heute als Höhepunkt der Hippie-Ära. Doch eigentlich war der Sommer 1967 der Zeitpunkt, an dem es in Haight Ashbury ungemütlich wurde. Der Ruf der Hippie-Kolonie strahlte auf die gesamten Vereinigten Staaten aus, sensationslüsterne Medien bedienten den voyeuristischen Appetit des Spießers und berichteten von freier Liebe und Drogenrausch und im Radio lief Scott McKenzies Hit "San Francisco". "Wenn du nach San Francisco gehst, trage Blumen im Haar", sang McKenzie in seiner berühmten Schnulze.

Ruth Marion Baruch "Hare Krishna Tänzer im Golden Gate Park", Haught Ashbury, 1967

Fine Arts Museums of San Francisco

Diesem Ruf folgten Tausende junge, naive Menschen. Viele von ihnen Ausreißer, die aus wohlbehüteten Mittelklassegegenden kamen. In den Geschäften Haight Ashburys hingen Dutzende Bilder von Teenagern, die von ihren Eltern gesucht wurden. Auf den Straßen wurde gebettelt, junge Mädchen wurden mit Drogen abgefüllt und vergewaltigt. Die Polizei schätzt die Zahl der Besucher, die in diesem Sommer nach Haight Ashbury gekommen sind, auf 75.000.

Das Selbstverwirklichungsmantra klingt bis heute nach

Am Höhepunkt dieses Sommers kommt auch ein Popstar nach Haight Ashbury: Beatle George Harrison entstieg am 7. August Ecke Haight und Masonic Street einer Limousine. Sein Resümee fällt ernüchternd aus: "Ich dachte, es sei wie auf der Kings Road, bloß noch besser. Irgendwie ging ich davon aus, dass sie alle ihre kleinen Läden haben und nett, sauber, freundlich und glücklich sind." Stattdessen umzingelten ihn "hässliche, pickelige Teenager".

Harrison ergriff die Flucht und verschwand wieder in seiner Limousine. Auch den alt eingesessenen Bewohnern Haight Ashburys wurde der Trubel bald zu viel. Viele verließen das Viertel und zogen in Kommunen im Umland. Am 6. Oktober ging der "Summer of Love" mit der "Death of a Hippie"- Performance zu Ende, bei der die Hippie-Bewegung symbolisch zu Grabe getragen wurde.

Doch das Selbstverwirklichungsmantra der Gegenkultur klingt bis heute in der San Francisco Bay Area nach und hat sich nicht zuletzt in der IT-Branche des Silicon Valley fortgepflanzt. Apple-Gründer Steve Jobs wurde nicht müde, auf sein Jahr in einer Kommune hinzuweisen und er betonte den Einfluss, den LSD auf ihn gehabt haben soll. Die Silicon Valley-Ingenieure schwören auf das Prinzip der Disruption, auf die Zerschlagung des bisher Dagewesenen durch Innovationen. Diesbezüglich, sagt Max Hollein, werde das Erbe der Hippie-Ära heute im Silicon Valley weitergetragen.

Doch dem Silicon-Valley-Entrepreneur geht es nicht um die Zerschlagung verkrusteter Traditionen, sondern um die Zerschlagung alt hergebrachter Geschäftsmodelle: "Die Gegenkultur der späten 1960er Jahre ist mutiert und zu einer ökonomischen Gegenkultur geworden. Der „spirit of disruption“, der die Tech-Industrie prägt, wurzelt eigentlich in der Gegenkultur. Man kann auch argumentieren, dass Figuren wie Steve Jobs stark geprägt sind von der Gegenkultur der späten 1960er Jahre."

Service

de Young - The Summer of Love Experience: Art, Fashion, and Rock & Roll. Bis 20. August 2017
Legion of Honor

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