Chicago in den 1930er Jahren, Autos

AP

Ex libris

Das Chikago im Burgenland

In ihrem neuen Roman "Chikago" beschäftig sich Theodora Bauer, mit einem zeitgeschichtliches Thema, das bisher kaum aufgearbeitet wurde: den Flüchtingen aus dem Burgenland.

Chicago – das sei die größte Stadt des Burgenlandes. Diese scherzhafte Behauptung kann man seit den 1970er Jahren öfter vernehmen. Damals lebten etwa 30.000 Burgenländer in Chicago, drei Mal so viel wie in Eisenstadt. Die Gründe für diese kuriose Situation liegen weiter zurück, in einer Zeit mit der sich Theodora Bauer in ihrem neuen Roman beschäftigt. Ende des 19. Jahrhunderts verließen tausende Burgenländer und Burgenländerinnen als Wirtschaftsflüchtlinge ihre Heimat und versuchten in Amerika Fuß zu fassen.

„Wir haben jetzt große Flüchtlingsbewegungen und wir tun so, als wäre das noch nie passiert“, meint die Autorin. Schätzungen zufolge sollen bis zu 100.000 Menschen aus dem damaligen Deutsch-Westungarn und späteren Burgenland nach Übersee ausgewandert sein. Chicago, Pennsylvania und New York gehörten zu den beliebtesten Zielen. Die Grenzregion im jüngsten Bundesland Österreichs hatte immer schon mit Armut zu kämpfen, oder wie es eine Protagonistin im Buch ausdrückt: „Das Land hat einen abschütteln wollen, bis man den Boden unter den Füßen verliert.“

Neues Glück im Amerika

Vom Ende der Welt will man also aufbrechen in die in Neue Welt: „ins Amerika“, oder „auf Amerika“ oder „nach Amerika“. Auf eine entsprechende Präposition hat man sich – zumindest im Roman – noch nicht geeinigt. Der Begriff, den man sich von der neuen Heimat machte, scheint noch vage, wenn auch weniger blauäugig, als man das heute vermuten würde, meint Theodora Bauer. Das liege auch an den vielen Heimkehrern, die bereits genaue Berichte über ihre Erfahrungen im Ausland abliefern konnten. Einer davon ist auch der Namensgeber, sowohl von diesem Roman als auch von einem Ortsteil in der Gemeinde Kittsee: „Chikago“ -wohlgemerkt mit einem k – geht zurück auf einen gewissen Josef Zambach, der sich bei seiner Rückkehr erstaunt über die zahlreich neu gebauten Häuser zeigte und meinte: „Ihr baut’s da ja wie in Chicago!“.

Der reiche Onkel aus Amerika

Viele Auswanderer schickten ihren daheimgebliebenen Verwandten Geld, was den burgenländischen Dörfern auch zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalf. Der sprichwörtliche „reiche Onkel aus Amerika“ war für viele Burgenländer also nicht nur Realität, sondern notwendige Lebensgrundlage. Da mag es umso mehr verwunden, dass die Thematik noch nicht öfter in Erzählungen aufgegriffen wurde. Zwar kommen viele ausgewanderte Tanten oder Großeltern vor, jedoch immer nur als Nebenfiguren. Theodora Bauer hat keine verwandtschaftlichen Beziehungen in die USA. Sie recherchierte unter anderem im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien, im Chicago History Museum und sprach mit Nachfahren von Ausgewanderten.

Dabei hörte sie viele Erfolgsgeschichten, die sie jedoch bewusst nicht beleuchten wollte. Im Mittelpunkt ihrer zur Gänze fiktiven Erzählung stehen zwei Schwestern: Ana und Katica. Letztere ist schwanger von Feri. Das Leben in Amerika verläuft für die drei nicht wie erhofft, im Gegenteil: Ein Unglück folgt aufs nächste. Nachdem Katica bei der Geburt ihres Sohnes stirbt, wird Feri zum Trinker. Nach dem Tod ihrer Schwester muss Ana Verantwortung übernehmen. Ihr ambivalenter Charakter zeigt, dass auch Frauenlebensgeschichten jener Zeit längst nicht so eindimensional verliefen, wie das heute oft angenommen wird.

Brüchige Lebensläufe und wechselnde Namen

Bauer überfrachtet ihren Roman nie mit angehäuften Fachwissen und historischen Details, sondern konzentriert sich auf die Lebensläufe ihrer Charaktere, deren Brüchigkeit sich schon allein in den wechselnden Namen widerspiegelt: Aus dem Burgenlandkroaten Franjo wird auf ungarisch Ferenc (oder Feri), danach Franz und zum Schluss Frank. Katica wird zu Katharina und danach zu Cathy. Der Mehrsprachigkeit – im weitesten Sinn – wird auch im Buch Ausdruck verliehen.

Neben einigen kurzen Einwürfen der Charaktere auf Kroatisch, wird die Geschichte großteils im Perfekt erzählt, was also der österreichischen Umgangssprache sehr nahe kommt. Sobald jedoch gebürtige Amerikaner zu Wort kommen, also eigentlich englischsprachige Figuren, ändert sich die Zeitform der deutschen Übersetzung ins Präteritum. Das übersetzte Englisch bleibt so im Deutschen seltsam fremd. Theodora Bauer begreift ihren Roman über die Sehnsucht nach einem besseren Leben nicht zuletzt als Kommentar zur aktuellen Lage der Flüchtlinge in Europa. Und als solcher ist er aufschlussreicher als so manche politische Analyse.

Gestaltung