Baujahr '67
Ein kollektives Generationen-Puzzle - Teil IV
Wir wollten die "Generation Ö1" kennenlernen und haben alle Ö1 Club-Mitglieder, die selbst vor fünfzig Jahren, 1967, das Licht der Welt erblickten, eingeladen, mit uns Ihre Gedanken zu teilen.
26. Oktober 2017, 02:00
Peter Leitl über die "Oase in der Wüste"
Das beste Fundstück in diesem Zusammenhang bin - ich. Geboren am 25 September 1967 bin ich gleich alt wie Ö1. So gesehen sind wir beide durch die gleichen Lebensabschnitte gegangen: Bei unserer Geburt wusste noch niemand, was aus uns wird, aber unsere "Väter" und "Mütter" haben sich über uns gefreut und Hoffnungen in ihr "Kind" gesetzt. Die folgenden Jahre wurden wir größer und lernten laufen - unabhängig von unseren "Eltern". Wir begannen auf eigenen Beinen zu stehen und auch neue eigenständige Ideen zu entwickeln. Wir gingen beide durch eine Schule, lernten, neue Menschen traten in unser Leben und wir begannen uns auch immer stärker von unseren Geschwistern zu emanzipieren, mögen sie Kurt (wie bei mir) oder Ö3 oder Ö2 (wie bei dir) heißen. Wir beide begannen auch zu experimentieren, manchmal auch nicht zur Freude unserer Mitmenschen (wenn ich an das Ende des Gugelhupfs und den Kampf um die Nachfolgesendung bei dir denke). Wir gaben uns auch immer wieder neue Erscheinungsbilder, die das jeweilige Jahrzehnt (70er, 80er, 90er, 0er...) spiegelten, auch wenn wir das vielleicht gar nicht wollten. Unverkennbar wollten wir beide sein, was uns gelang, doch waren wir auch immer Kinder unserer Zeit.
Du. liebes Ö1 hast dich dann der Vermittlung von Kunst, Kultur, Wissenschaft (Geistes- wie Natur) verschrieben, auch ich wurde Lehrer. Manchmal scheint es mir, wie sicher auch dir, dass wir einen Kampf gegen Windmühlen in der unendlichen Landschaft der Halbbildung und Banalität führen. Doch dann kommen die kleinen Feedbacks, die überraschenden Kommentare, die uns dann doch zeigen, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir beide haben uns engagiert, Stellung bezogen, Lob und Kritik eingefahren, aber das machte uns beide in den vergangenen 50 Jahren zu dem was wir heute sind. Oft wünschen sich auch unserer Gegenüber, dass wir vielleicht nie in ihre Nähe gekommen wären, beispielsweise, wenn du Politiker in Interviews kritische Fragen stellst oder ich Politikern mit Schülern zusammen kritische Fragen stelle, dann möchte ich nicht in die Köpfe schauen oder deren Gedanken lesen. Aber damit sorgen wir beide dafür, dass immer eine neue Generation von Menschen da ist, die Demokratie nicht als leeres Wort nehmen und die Wissen, dass es einen Unterschied zwischen Fake News und Nachrichten gibt.
Wir hätten uns noch viel zu erzählen, auch über die Tage, an denen sich unser Leben kreuzte. Du bist nämlich die einzige Person, liebes Ö1, von dem ich mich immer wieder gerne prüfen lasse - bei gehört gewusst. Schade, dass ich nie die Rollen tauschen kann. So stehen wir beide nun vor einem Meilenstein des Lebens: das halbe Jahrhundert. Und wie ich beginnst du zurück zu schauen auf dein bisheriges Leben, auf dein Geburtsjahr, auf die schönen und nicht so schönen Dinge, die uns geprägt haben. Und so fühle ich mich, wenn ich meine Fotos der vergangene 50 Jahre anschaue, wie ein Avatar von dir, der - menschgeworden - wie du versucht eine Oase in der Wüste des Lebens zu sein.
Werner Sattleggers Geburtstagswünsche
Barbara Rieglers Kritik an der Technik
Mich bewegt bis heute die Frage: Wohin bewegt sich unsere Gesellschaft - das Miteinander, das "Für Einander Sorgen" und dass alles immer schneller gehen soll (muss) und dabei soll (muss) stetig die Qualität erhöht und optimiert werden.
Wie kann der Mensch der Beschleunigung entgegenwirken - ohne dabei im allgemeinen Tempowahn als schwach, ineffizient und unfähig zu gelten. Es gibt Prozesse die nicht beschleunigt werden können und dürfen. So wie die Lernphasen von Kindern, eine normale Schwangerschaft, die Zuwendungszeit bei alten und/oder schwerkranken Menschen. Auch bei Menschen die "aus der Zeit fallen" können die derzeit fast als Norm gültigen Anforderungen von schnell, effizient und günstig, nicht gelten.
Menschen mit Demenz haben in dem Sinn nur die "Jetzt-zeit", sie passen in kein Effizenzschema hinein.
Wie wird sich die Gesellschaft entscheiden? Was wird da an Optimierungsideen umgesetzt werden? Das bewegt mich sehr.
Heuer waren so viele BewerberInnen beim Aufnahmetest für Medizin wie noch nie zuvor - ich frage mich warum? Was erwarten die Menschen von diesem Beruf heute? Anscheinend ganz etwas besonderes.
Gleichzeitig gibt es so wenig geeignete Bewerberinnen für das Studium der Pflege wie noch nie - auch die Pflegeassistenzberufe bräuchten wir noch geeignete BewerberInnen. Warum will der heutige junge Mensch in die Medizin - aber zu einem Bachelor in Pflege kann er/sie sich nicht entscheiden.
Mich bewegt auch die Menge an Auswahlmöglichkeiten und der damit verbundene Bewertungs- und Optimierungsgedanke. In jedem Bereich ist alles mehr geworden: mehr Info, mehr Shops, mehr Ausbildungsmöglichkeiten, mehr Kurse, mehr Autos, mehr Umweltverschmutzung.
Aber hat es auch das Erwünschte gebracht? Also die Lebensfreunde und Lebenszufriedenheit hat sich nicht im gleichen Maße erhöht.
Meine ganz besonderen Erinnerungen gelten dem Kasettenrecorder den ich als Kind bzw. Jugendliche hatte. Damit war es endlich möglich den geliebten Star oder die Band auch im eigenen Zimmer abzuspielen. Dann konnte man auch schon was vom Radio aufnehmen und sich eine ganz individuelle Kassette basteln. Wenn man Pech hatte hat sich das Tonband "aufgefadelt" - und da musste dann ganz vorsichtig alles wieder neu aufgespult werden. Und dann war es noch nicht sicher ob die Kassette wieder funktioniert. Oft sind die Lieder dann ganz verzogen gespielt worden. Die Auswahl war auch überschaubarer. Heute kann in sekundenschnelle das ganze Lebenswerk eines Künstlers runtergeladen werden, die Zeit dann alles anzuhören hat man heute sowieso nicht. Also wozu eigentlich?
Mich bewegt auch, dass die Zukunftsszenarien irgendwie hingenommen werden. Ees scheint so als ob wir mit sehendem Auge in das reinfallen was eigentlich gar nicht gewollt ist. Die Aktivität etwas dagegenzuhalten ist schwach bzw. die Ablenkungen sind durch Selbstdarstellung und Täuschung durch Medien stark wie nie. Wollen wir wirklich das alles SMART wird? Wollen wir eine Technisierung der Arbeitswelt in diesem Ausmaß? Die Versorgung der Alten durch Roboter? Ich höre von Studierenden oft die Aussage, da kann man nichts machen, es scheint so als ob sie das so hinnehmen. Ich frage mich ernsthaft warum?
Es ist noch immer so, dass der Mensch sich entscheiden kann - also für oder gegen Etwas. Beides braucht Kraft.