APA/ARNE DEDERT
Umfragen
Wahlkampf als Wettrennen: Wie über Umfragen berichtet wird
Mit der besonderen Verantwortung beim Veröffentlichen von Wahlumfragen und der Forderung nach mehr Transparenz gehen österreichische Zeitungen im Wahlkampf sehr unterschiedlich um.
6. November 2017, 02:00
Wer liegt vorne? Wer schafft den Einzug ins Parlament? Wird es knapp oder ist eine Partei vielleicht bereits uneinholbar? Wahlumfragen sind eine beliebte und viel verwendete Zutat heutiger Politikberichterstattung. Insgesamt sind in österreichischen Medien seit Mai über 40 Umfragen erschienen. Im September kam durchschnittlich jeden zweiten Tag eine Umfrage heraus.
Abgesagtes Kopf-an-Kopf-Rennen
Dabei stehen Umfragen in jüngster Zeit zusehends unter Beschuss. International mit dem Sieg von Donald Trump und dem Ja zum Brexit - aber auch in Österreich sind Wahlforscher in Erklärungsnot geraten. Bei der Wien-Wahl im Oktober 2015 etwa wurde ein knappes Rennen um Platz eins ausgerufen. Sowohl Medien als auch einige Parteien sprachen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der regierenden SPÖ und der FPÖ. Dass die SPÖ schlussendlich mit fast neun Prozentpunkten Vorsprung auf die Freiheitlichen gewonnen hat, kam für viele überraschend. Wobei Meinungsforscher wie Wolfgang Bachmayer nicht müde werden zu betonen, dass Wahlumfragen Momentaufnahmen und eben keine Prognosen sind. Wie das Volk am Wahlsonntag abstimmt, kann auch die beste Umfrage nicht voraussagen.
Wolfgang Bachmayer im Interview mit Nadja Hahn
Große Verantwortung der Medien
Das steigende Unbehagen gegenüber Umfragen zeigt, dass Medien besondere Verantwortung tragen, wenn sie über Umfragen berichten. Der Meinungsforscher Peter Hajek zieht seit Wochen durch die Redaktionen des Landes, um Journalisten aufzuklären, wie Umfragen funktionieren und wie sie deren Qualität erkennen können. Immerhin steht auch der Verdacht im Raum, dass Umfragen die Wahlentscheidung beeinflussen, sagt auch die Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger von der Universität Wien.
Sieglinde Rosenberger im Interview mit Rosanna Atzara
Beipackzettel soll vor Risiken warnen
Um für Transparenz zu sorgen, sammelt und analysiert der Politblog "Neuwal.com" Wahlumfragen in Österreich. Auf Basis des Bewertungssystems von "Neuwal"-Betreiber Dieter Zirnig hat auch der Verband der Meinungsforschungsinstitute VDMI 13 Kriterien formuliert, die eine Umfrage erfüllen sollte, um publiziert zu werden. Gleichsam nennt der VDMI Eckdaten zur Umfrage, die Medien auf jeden Fall als Art "Beipackzettel" veröffentlichen sollen, damit sich Leser ein umfassendes Bild über die Aussagekraft der Umfrage machen können. Zu diesen fünf Kriterien zählt die Nennung der Befragungsgröße, die Befragungsmethode – also telefonisch, persönlich oder online -, der Befragungszeitraum, die Schwankungsbreite und die Anzahl der Deklarierten, denn nicht alle Befragten äußern auch ihre politische Präferenz bzw. haben sich bereits entschieden.
Welche Medien am meisten Umfragen publizieren
Medien strengen sich an
Zirnig zieht für den laufenden Wahlkampf eine positive Bilanz. "Die Qualität ist generell besser als erwartet. Die Medien machen ihre Arbeit von Jahr zu Jahr besser." Auf einer fünfteiligen Skala liegen die Medien laut Zirnig bei 3,5. "Das ist für Medien eigentlich ziemlich hoch, wenn man immer sagt, dass die Medien hier eigentlich Informationen verschweigen."
Ein Vorbild aus dem Boulevard
Das erfreuliche Urteil betreffe auch Medien, von denen man das weniger erwarten würde. Das Boulevardblatt "Heute" berichte zum Beispiel vorbildhaft, sagt Zirnig. Dahinter steckt eine bewusste Entscheidung des Gratisblattes, sagt "Heute"-Chefredakteur Christian Nusser: "Wir haben uns nach der Wien-Wahl entscheiden müssen: Machen wir weiter oder hören wir komplett mit Umfragen auf? Gemeinsam mit dem Meinungsforscher Peter Hajek haben wir beschlossen, wir machen weiter, aber mit ganz klaren Vorgaben und Bedingungen, die wir an Umfragen stellen." "Heute" nennt alle Eckdaten zur Umfrage, stellt die Rohdaten online zum Download zur Verfügung und verzichtet zwei Wochen vor dem Wahltag freiwillig auf das Veröffentlichen von Umfragen. Nusser sagt, er möchte so der Verantwortung gegenüber den Leserinnen und Lesern Rechnung tragen.
Negativbeispiel "Der Standard"
Anders bei der Tageszeitung "Der Standard". Dort lässt sich laut Zirnig eher schwer herauslesen, wie die einzelnen Parteien in der Umfrage abschneiden. Auf die Schwankungsbreite wird im "Standard" nur in einer kleinen Fußnote verwiesen. "Heute" bildet diesen wichtigen Wert hingegen auch graphisch ab.
Umfragen als Brandbeschleuniger
Die Gratiszeitung "Österreich“ hat mit 14 Umfragen im laufenden Wahlkampf die meisten Umfragen in Auftrag gegeben. Im September wurde wöchentlich veröffentlicht – und das mit einem Online-Sample von nur 600 Befragten. Der Verband der Meinungsforschungsinstitute empfiehlt mindestens 800 Personen als Befragungsgröße. Außerdem fehlen bei der Darstellung der Ergebnisse oft die wichtigen Kennzahlen.
Bringschuld von Medien
Durchgeführt werden diese Umfragen vom Institut Research Affairs. Die Geschäftsführerin Sabine Beinschab betont im Interview mit #doublecheck, dass sie alle Informationen an die Zeitung weiterleitet. "Wir als Marktforscher liefern Berichte, in denen ganz genau angeführt wird, wie hoch der Anteil an deklarierten Wählern ist, die Schwankungsbreite, der Erhebungszeitraum." Für die letzte veröffentlichte Umfrage wurde außerdem die Anzahl der Befragten auf 1.000 Personen hochgeschraubt.
Für Dieter Zirnig werden in "Österreich" Umfragen strategisch eingesetzt: "Bei Österreich kann es schon vorkommen, dass, wenn ein bestimmtes Ereignis zu Tage kommt, über das "Österreich" ganz stark publiziert, dass da eine Umfrage dazwischen rutscht, um der Geschichte einen möglichen Drive zu geben." Auch ganz gezielt werde mit Umfragen Stimmung gemacht, etwa wenn ein Kanzlerkandidat Sebastian Kurz bereits im Jänner abgefragt wird – zu einem Zeitpunkt, wo Kurz noch gar nicht ÖVP-Chef war.
Inhalte bleiben auf der Strecke
Dass Umfragen so beliebt sind, ist weder für den Experten Dieter Zirnig noch für den Journalisten Christian Nusser überraschend. "Es unterstützt den Showcharakter der Politik, es schafft Fakten oder täuscht zumindest Fakten vor", sagt Nusser. Für die Meinungsforscherin Beinschab liefern Umfragen die Würze in Wahlzeiten: "Was wäre der Wahlkampf ohne Umfragen? Das wäre doch total langweilig."
Auch Sieglinde Rosenberger stößt in dieselbe Richtung. "Seit vielen Jahren stellen wir fest, dass Umfragen in Wahlkämpfen eine große Rolle spielen, weil Umfragen in Medien eine Möglichkeit sind, meist in spannender Art und Weise über Politik zu berichten." Die große Anzahl an publizierten Umfragen gehe dabei zu Lasten der Inhalte, sagt Rosenberger: "Je mehr über Umfragen berichtet wird, desto weniger kann über Inhalte, Programme, Perspektiven oder auch über das, was in der Vergangenheit stattgefunden hat, berichtet werden."
Service
Neuwal - Verein zur Förderung Politischer Bildung und Online Journalismus
VDMI - Richtlinie für die Erstellung und Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung in Medien