Russische Flagge

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Russische Einflussnahme

Liebesgrüße aus Moskau auf dem Stimmzettel

Sie waren nicht stark, aber es gab sie: Versuche aus Russland, die Bundestagswahl in Deutschland zu beeinflussen. In Österreich erwarten Experten nicht, dass der Kreml sich einmischen wird. Das würde aus der Sicht Moskaus nämlich mehr schaden als nützen. Das bedeutet aber nicht, dass die russischen Troll-Armeen in Pension gegangen sind.

"Am Sonntag werden Stimmen für die AFD ungültig gemacht. Werde Wahlbeobachter - #Wahlbetrug." Solche Nachrichten fluteten in den beiden Tagen vor der deutschen Bundestagswahl durch die Netzwerke Twitter und Facebook, mit Links zu Videos, die den sogenannten "Systemparteien" vorwarfen, AFD-Wählern die Stimmen zu stehlen. Stark verbreitet wurde auch ein Bild, das an die sexuellen Übergriffe der Silvesternacht in Köln vor eineinhalb Jahren erinnert. Dabei handelt es sich allerdings um eine Fotomontage.

#Wahlbetrug trendet am Tag vor der Bundestagswahl

Der Hashtag "Wahlbetrug" begann sich zwei Tage vor der Wahl zu verbreiten und verschwand in der ersten Hälfte des Wahltages wieder weitgehend. Verteilt wurde er vor allem von Bots, also einer Art Roboter im Internet, die vorgeben, echte Personen zu sein, um Nachrichten größere Reichweiten zu verschaffen, erklärt Maks Czuperski, Direktor des Thinktanks Digital Forensic Lab, der Teil des Atlantic Council in Washington ist. Der Thinktank hat den Einsatz dieser Bots als erstes erkannt und darüber berichtet.

Chirurgische Methoden, um die Wahl zu beeinflussen

Czuperski: "Es gibt nicht nur große Fake-News-Stories, die veröffentlicht werden, sondern es gibt auch kleine, quasi chirurgische Mittel, um sich bei einer Wahl einzumischen. Und genau das haben wir in Deutschland gesehen, wenn auch nur auf sehr geringem Niveau: Die Verbreitung von Nachrichten der AFD wurde künstlich von einem Botnet vergrößert. Ob dieses Botnet von der Führung in Moskau gesteuert wurde, wissen wir nicht, aber wir sind ziemlich sicher, dass es sich dabei um ein kommerzielles russisches Botnet handelt."

Es handelt sich also um ein Netzwerk, das von Cyber-Kriminellen betrieben wird und dessen Dienste sich jedermann kaufen kann. In der Vergangenheit haben dieses und ähnliche Netze oft Interessen des offiziellen Russland verstärkt. Inwieweit sie Anweisungen des Kreml folgen oder eigenverantwortlich handeln, ist unklar.

Werbung für die AFD im russischen Fernsehen

Es war allerdings nicht die einzige Einmischung aus Russland: In den Tagen vor der Wahl wurde in den großen staatlichen russischen Fernsehsendern, die über Satellit auch in Deutschland zu empfangen sind, immer wieder Werbung für die AFD eingeblendet - die große Minderheit der Russlanddeutschen ist eine wichtige Zielgruppe der Partei. Wie stark der Effekt dieser Maßnahmen gewesen ist, sei schwer abzuschätzen, sagt der Politikwissenschaftler Anton Shekhovtsov vom Wiener Institut für die Wissenschaften für den Menschen.

AFD stärken, Mainstream-Parteien nicht beschädigen

In seinem aktuellen Buch "Tango Noir" geht Shekhovtsov dem Einfluss Moskaus auf rechte und rechtsextreme Gruppen in Europa nach. Die im Vergleich zu anderen Wahlen sehr geringe Einmischung sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass in Deutschland seit Monaten intensiv über den Einfluss des Kreml auf die Bundestagswahl diskutiert wird. "Gerade weil die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit so groß war, konnten sie sich nicht massiv einmischen. Sie hätten so die öffentliche Meinung, die ohnehin schon negativ gegen Russland eingestellt ist, noch weiter gegen sich aufgebracht. Sie haben sich daher entschieden, nicht die Mainstream-Parteien zu beschädigen, sondern die AFD zu unterstützen."

Keine Einmischung bei Russland-Freunden

Russland verfolge tatsächlich genau, wie die europäischen Parteien gegenüber Russland eingestellt seien, meint der Politikwissenschaftler Anton Shekhovtsov: "Wenn das offizielle Moskau gute Verbündete bei den Mainstream-Parteien hat, Parteien, die entweder in der Regierung sind oder knapp davor stehen, dann mischen sie sich nicht wirklich ein, dann unterstützen sie am ehesten politisch ihre Verbündeten. Wenn die Mainstream-Parteien Moskau hingegen nicht positiv gegenüberstehen, dann unterstützen sie die Opposition - und zwar normalerweise die extreme Rechte." Als Beispiele nennt er Frankreich und Ungarn.

Frankreich: Zuerst Fillon, dann Le Pen unterstützt

Bei der französischen Präsidentschaftswahl habe Moskau zuerst auf Francois Fillon gesetzt, den konservativen Kandidaten. Erst nach dessen Ausscheiden im ersten Wahlgang wurde offen Marine Le Pen unterstützt. In Ungarn gibt es mit Jobbik eine rechtsextreme moskaufreundliche Partei, die trotzdem keine oder nur sehr wenig Unterstützung erhält: Besser als mit Premier Viktor Orban könnten die Beziehungen ohnehin kaum werden.

Dass Russland bei den österreichischen Nationalratswahlen aktiv wird, glaubt Shekhovtsov nicht. Vor einem Jahr hätte er noch vermutet, dass der Kreml die FPÖ unterstützen werde. Inzwischen seien aber auch ÖVP und SPÖ auf einen Russland-freundlichen Kurs eingeschwenkt. Die offene Parteinahme für eine Partei würde daher mehr schaden als nutzen.

Der Kreml sieht sich selbst als Opfer

Ähnlich sieht das Alexander Belov, stellvertretender Leiter der Europa-Abteilung der Russischen Akademie für Wissenschaften. Der Westen solle sich keine Illusionen machen. In der Vergangenheit habe Russland versucht, die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen. Die russische Propagandamaschine sei wie eine Walze, die rollt wie ein Rubel, meint Belov. Es sei aber wichtig, sich die Motive des Kreml anzuschauen.

Der Kreml habe den Eindruck, selbst Angegriffener zu sein - dass der Westen seinerseits versuche, die Politik in Russland und in den Ländern, die es als seinen Einflussbereich betrachte, zu manipulieren. Die Unterstützung von Demokratie und Menschenrechten würden nur als Deckmantel betrachtet, um einen Regimewechsel oder sogenannte "Farbrevolutionen" wie in der Ukraine herbeizuführen.

In Österreich hätte der Kreml die Qual der Wahl

Propaganda und Einmischung im Westen seien aus der Sicht des Kremls eine legitime Gegenreaktion. Erwartet er, dass Russland sich bei der Nationalratswahl in Österreich einmischen wird? Bei den österreichischen Parteien habe der Kreml die Qual der Wahl, sagt Belov. Im Grunde seien sie aus Moskauer Sicht alle in Ordnung. Er rechne daher keinesfalls damit, dass Russland sich in die Nationalratswahl einmischen werde.

Die nächste Manipulation ist nur eine Frage der Zeit

Die Tatsache, dass es bei den Wahlen in Deutschland nur wenig und in Österreich - zumindest bis jetzt - keine offensichtliche Einmischung gegeben habe, bedeute aber nicht, dass der Trend gebrochen sei, warnt der Politikwissenschafter Anton Shekhovtsov: "Ich verstehe nicht, wie irgendjemand annehmen kann, dass Russland damit aufhören wird, sich bei Wahlen im Westen einzumischen. Denn ob sie das tun oder nicht, hängt immer von den nationalen Rahmenbedingungen ab."

Und die könnten schon bei der nächsten Wahl, der Parlamentswahl in Tschechien Ende Oktober, ganz anders aussehen.

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