Der evangelische Bischof Michal Bünker

APA/ROLAND SCHLAGER

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Die Reformation feiern

Lange schon haben Protestantinnen und Protestanten darauf hin gefiebert, jetzt ist es da: Das Reformationsfest 2017. Vor genau 500 Jahren - am 31. Oktober 1517 - soll Martin Luther seine 95 Thesen an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben.

In aller Welt wurde und wird es gefeiert, schildert Michael Bünker, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich und Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirche in Europa, kurz GEKE, im Interview.

Herr Bischof Bünker, das Reformationsjubiläum wurde bisher ausgiebig gefeiert, war das im Sinne des Erfinders?

Natürlich sind 500 Jahre ein besonderer Anlass, ein halbes Jahrtausend ist schon ein Meilenstein. Ich bin überzeugt, dass das Reformationsfest 2017 in der Rückschau als eine große Sache eingestuft werden wird, natürlich mit manchen kritischen Fragen dazu: Haben wir den Kern getroffen? Haben wir die zentrale Botschaft der Reformation auf für das 21. Jahrhundert verständlich machen können oder war es doch überwiegend ein Event? Die 500 Jahre zeigen, es ist schon lange her, Luther ist weit weg und uns fremd, wird uns immer fremder. Umso schöner ist es, dass es auch Anliegen und Dinge gibt, die uns bis heute viel sagen. Es war jedenfalls ein regelrechter Marathon an Veranstaltungen auf regionaler und nationaler Ebene, es ist weit über die evangelische Kirche hinausgegangen. Ich würde sagen: Es kann gar nicht genug geben, weil die Breiten- und Tiefenwirkung der Reformation wirklich beeindruckend ist. Die evangelischen Kirchen sind ja nicht so ressourcenstark, es war schon eine große Herausforderung und wir freuen uns, dass die Veranstaltungen gelingen und Zuspruch finden.

Ist die Balance zwischen triumphalistischem Feiern und kritischer Selbstzerfleischung Ihrer Meinung nach gelungen?

Wir wollten nicht nur ein Reformationsgedenken machen, also bedauern, dass es zur Spaltung der westeuropäischen Christenheit kam, sondern wir wollten auch selbstbewusst unsere Freude über die Reformation zum Ausdruck bringen, ein Jubiläum feiern. Aber es war uns klar, dass man das 500 Jahre später nicht mehr machen kann ohne die Schattenseiten der Reformatoren zu verschweigen. Ich hoffe, dass es uns gelungen ist, das in einer guten Balance zu halten und Luther so gut es geht gerecht zu werden – ohne ihn auf ein Heiligenpodest zu stellen oder ihn zu dämonisieren.

Martin Luther ist ja oft missinterpretiert worden

Luther ließ sich für vieles einspannen, auch für den Nationalismus bis hin zum Nationalsozialismus, das ist ja eine seiner dunkelsten Schattenseiten. Gleichzeitig wäre es auch falsch, ihn zum Vorreiter der modernen, säkularen, demokratischen Gesellschaft zu machen. Das war jenseits seines Vorstellungshorizontes, obwohl es natürlich Ansätze bei ihm gibt. Die Wirkungen der Reformation auf die Herausbildung der demokratischen Gesellschaft sind schon evident, ohne dass das damals beabsichtigt gewesen wäre. So wie sich die Welt heute im Westen darstellt, hat das auch stark mit der Reformation zu tun.

Hat Luther mehr geleistet als ihm eigentlich bewusst war?

Man sieht das besonders deutlich an der Frage der Frauenordination, wo es ja bei ihm deutliche Äußerungen gibt, dass dieses Recht der öffentlichen Verkündigung allen zukommt. Und wenn er von allen spricht, meint er selbstverständlich auch die Frauen, die er damals halt als „Pfäffin“ bezeichnet. Dieses urdemokratische Gleichberechtigungsanliegen ist da, umgesetzt wird es nicht. Umgesetzt worden ist es erst im 20. Jahrhundert.

Kann Luther als Reform-Katholik bezeichnet werden?

Das ist auf der einen Seite richtig, auf der anderen muss man auch sehen, dass die Reformation vielleicht an aktuellen Missständen in der damaligen Kirche entzündet, Stichwort Ablasshandel. Aber sie geht nicht darin auf. Der Kern der Reformation ist eine neue Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch, Stichwort Rechtfertigungslehre, also die grundsätzliche, bedingungslose, voraussetzungslose Anerkennung des Menschen, die erst dann die Umkehr und die guten Werke bewirkt. Und daraus folgt ja auch ein neues Verständnis von Kirche. Insofern ist schon bei Luther ein neuer Typ von Kirche entstanden. Die Herausforderung heute ist ja zu bestimmen, wie sich das reformatorische zum katholischen Kirchenverständnis verhält. Ist es von katholischer Seite zutreffend, wie es noch das Zweite Vatikanische Konzil tut, bei uns handle es sich nicht um Kirchen, sondern bestenfalls um kirchliche Gemeinschaften? Müssten wir nicht langsam sagen, das sind Ausgestaltungsformen der einen Kirche Christi, die in starker Gemeinschaft miteinander den Auftrag des Evangeliums wahrnehmen? Das ist das, was vor uns liegt.

Ist es die Aufgabe einer christlichen Kirche unbequeme Fragen zu stellen und so auf einen verkürzten gesellschaftlichen Diskurs hinzuweisen?

Ja, wir erleben eine Verkürzung auf nicht-repräsentative Problemfelder, die oft nur durch eine Politik der Symbole bearbeitet werden. Die zentralen Anliegen, von denen wir sprechen müssen, sind: die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen (Klimawandel), die Solidarität und der Zusammenhalt in der Gesellschaft (Pflege, Migration), die Bildungsfrage, die individuelle Verantwortung und Würde in der fortschreitenden Digitalisierung, das Verständnis von Arbeit und von Privat, die ethischen Fragen am Lebensbeginn und am Lebensende, auf die es ohne religiöse Handläufe keine befriedigenden Antworten geben wird. Das sind zentrale Fragen, die die Menschen heute beschäftigen. Man könnte es auf das Begriffspaar Freiheit und Verantwortung zuspitzen.

Was wird vom großen Reformationsfest bleiben?

Es ist schwierig zu sagen, was vielleicht in fünf Jahren geblieben sein wird, woran man sich erinnern wird. Das, was für die Evangelischen zum Ausdruck kommen sollte: Wir sind zwar zahlenmäßig wenig, aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, wofür wir uns einsetzen und was uns der Glaube bedeutet. Und dass das in einer Vielfalt gelebt wird. Das heißt, dass auch zahlenmäßig kleine Gemeinschaften einen wichtigen Beitrag leisten können, diese Vielfalt in der Gesellschaft zu fördern. Für alle, die von außen als Gäste teilgenommen haben, die haben doch eine selbstbewusste Kirche erlebt, die sich selbst über die Botschaft, die ihr anvertraut ist, freut und das aber auch auf eine offene und einladende Weise macht ohne irgendwelche Mauern oder Grenzen zu errichten.