Im Hörspielstudio

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Von Christine Ehardt

Gedanken zum Hörspiel

Aus Anlass des Ö1 Schwerpunkts "Museum der Meisterwerke", in dem "10 (besondere) Hörspiele aus fünf Jahrzehnten" vorgestellt werden, macht sich die Theater-, Film- und Medienwissenschafterin Christine Ehardt Gedanken über das Hörspiel.

Dem Schall Rauch ins Gesicht blasen

Am Hörspiel ist nichts Dringliches, das macht es so sympathisch. Man kann es immer wieder nachhören, überhören oder nebenbei hören, und wer Hörspiele macht, den leitet selten überbordender Geltungsdrang. Hörspiel ist Entschleunigung pur, Entschleunigung von Gedanken und Aufmerksamkeit. Kontemplation bei gleichzeitiger Zerstreuung, sozusagen. Der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno empfahl, sich beim (Radio-)Hören eine Zigarette anzuzünden, um dem Schall Rauch ins Gesicht zu blasen.

Doch ist das Hörspiel alles andere als bescheiden. Seit über 90 Jahren, seitdem im europäischen Radio erstmals das Licht ausging und nur mehr der Hörsinn durch den Text leiten konnte, wird darum gekämpft, eine eigenständige Kunstform daraus zu machen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Dabei entfaltet das Hörspielmachen, ebenso wie das Hörspielhören, die größte Kraft im Zusammenspiel mit anderen (künstlerischen) Tätigkeiten. Diese Gedanken möchte ich anhand eines kurzen Abrisses der Hörspielgeschichte weiterdenken. Rauchend und dazu ein Hörspiel hörend.

Spuk im Radio

In Europa gilt "The Comedy of Danger" des britischen Schriftstellers Richard Hughes als erstes eigens für den Rundfunk geschriebenes Hörstück. Es wurde am 15. Jänner 1924 von der BBC ausgestrahlt. Hughes hat damit ein One-Hit-Wonder der Hörspielgeschichte geschrieben. Das Hörspiel basiert auf einem so simplen wie genialen Kunstgriff: Während einer Bergwerksführung fällt das Licht aus. Aber als ob das an Unglück nicht schon reichen würde, dringt auch noch Wasser ins Bergwerk ein. All das, was bei einem Film oder Theaterstück undenkbar wäre, ist hier der perfekte Ausgangspunkt fürs Hörspiel: Die Szenerie ist dunkel und den drei Spielern, denen das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals steht, bleibt nur mehr ihre Stimme.

In den Anfangsjahren des Hörspiels waren Katastrophen- und Schauergeschichten wie diese allgegenwärtig, und der Spuk im Radio spiegelt die Angst und Faszination dem neuen Medium gegenüber wider. Der Journalist Anton Kuh schrieb von der Furcht vor dem Radio, der Philosoph Günther Stern prognostizierte, dass jeder technisch wiedergegebene Klang Spuk mit sich bringt, und für Franz Kafka nährten die neuen Technologien Geister, die wir nicht mehr loszuwerden imstande sein würden.

Bevor das Hörspiel aber zum Hörspiel wurde und lange bevor Ernst Jandl und Friederike Mayröcker es Ende der 1960er Jahre zum doppelten Imperativ erklärten (Hör!Spiel!), wurde zunächst nach einem passenden Namen dafür gesucht. Zur Auswahl stand ein breites Spektrum an Namensvorschlägen, von Ohrendramen, Hörfilmen, Sendespielen, Sendedramen und Hörbildern war alles dabei. Die jeweiligen Bezeichnungen verweisen auf eine Vielfalt an radiophonen Kunstformen und die verschiedenen Namensvorschläge zeigen den wechselseitigen Austausch mit anderen Künsten wie Theater, Film, Musik und Malerei.

Die experimentellen Arbeiten der ersten Hörspieljahre von Bertolt Brecht, Walter Benjamin oder Walter Ruttmann zeugen von diesem fruchtbaren Austausch der Künste im Radio. Erst die Diskussionen ums Neue Hörspiel brachten ihre innovativen Arbeiten wieder in Erinnerung. "Alles ist möglich, alles ist erlaubt", lautete der programmatische Slogan des Neuen Hörspiels in den 1960er und 1970er Jahren.

Hörspiel heute

Im gegenwärtigen Hörspieldiskurs wird vor allem die Wahrnehmung selbst in den Vordergrund der künstlerischen Arbeit gestellt. Es sollen eigene Bilder in den Köpfen der Hörer/innen entstehen. Die Schriftstellerin Elfriede Gerstl hat es 1980 in ihrem Aufsatz "Aus der Not ein Hörspiel machen, zur Not ein Hörspiel hören" bereits vorweggenommen, die Chance des Hörspiels liege darin, "Denkanstöße zu verursachen". Bei Elfriede Jelinek ergeben "das Denken und das Hören" ein Bild, "das man nicht zu sehen braucht", denn "das, was man nur hören kann, wenn man die Augen zumacht, das, was erst die Essenz, das Wesen des Lichts ausmacht, was man erst sieht, wenn man überhaupt nicht mehr sieht, das kann man dann erkennen".

Beim Hörspielhören eröffnet sich eine Klangwelt, die uns von außen umschließt und gleichzeitig ein inneres Bild des Gehörten entstehen lässt. Hören erweitert nicht nur Klang-, sondern auch Denkräume. Genau das ist für mich das Spannende am Hörspielhören, dem Schall wird ständig Rauch ins Gesicht geblasen. Auch wenn Schall im Moment des Erklingens schon wieder verschwunden ist, bleibt doch immer etwas zurück, etwas Widerständiges, das wie zäher Rauch immer einen Tick länger im Kopf herum spukt. Eine Forderung von Christoph Schlingensief fällt mir dazu ein: "Hören soll stören!"

Epilog

Trotz der vielen programmatischen Aufträge, künstlerischen Visionen und technischen Möglichkeiten, die sich am Hörspiel erproben lassen, bleibt jedoch bei jeder Diskussion die eine Frage übrig: Wie geht es weiter? Auf diese Frage hat Rainer Werner Fassbinder eine abschließende Antwort gefunden: "Natürlich gibt es eine Zukunft des Hörspiels, warum nicht? Warum, das kann ich nicht sagen, es gibt sie halt!"

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und gekürzte Fassung des gleichnamigen Textes in "keine delikatessen. Zeitschrift für Literatur", 17/2014