DemonstrantInnen in Ankara, Dezember 2017

AFP/ADEM ALTAN

Radiokolleg

Wissenschaft unter Druck

In der Türkei wurden seit dem Putsch tausende Wissenschafter/innen entlassen oder auch verhaftet. In den USA entzieht Präsident Donald Trump jenen Forschungseinrichtungen Förderungen, die sein Weltbild herausfordern. Und in Ungarn hat das Parlament zuletzt ein Gesetz gegen ausländische Hochschulen beschlossen. Wissenschaft kommt zunehmend unter den Druck der Politik - was tun?

Im Jahr 2016 unterschreiben mehr als 1.000 Wissenschafter/innen eine Petition gegen das militärische Vorgehen der türkischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten des Landes, dem zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Unterzeichner/innen setzen sich zugleich für eine friedliche Lösung des Konflikts ein. In der Folge lässt Präsident Erdoğan Dutzende von ihnen verhaften. Der Vorwurf: Sie hätten terroristische Propaganda verbreitet. Bis dato sind in der Türkei mehr als 1.400 Professor/innen und Studierende verhaftet worden, weitere 7.000 wurden entlassen bzw. freigestellt – so weit der Jahresbericht der NGO Scholars at Risk, die sich weltweit für die Freiheit von Wissenschaft er/innen einsetzt.

Auch USA und Ungarn wollen gefügige Wissenschaft

Nicht nur in der Türkei ist seit dem Putschversuch Ende 2015 die Freiheit von Forschung und Lehre unter Druck. In den USA entzieht Präsident Donald Trump jenen Forschungseinrichtungen Förderungen, die sein Weltbild herausfordern und bestärkt mit seinen Äußerungen und seiner Politik Impfgegner/innen und Leugner/innen der Klimakrise. In Ungarn hat das Parlament zuletzt ein Gesetz gegen ausländische Hochschulen beschlossen, das vor allem dazu dienen soll, die in den USA akkreditierte internationale Central European University in Budapest auszuschalten. Nach zähen Verhandlungen hat Ungarn den weiteren Fortbestand der CEU jüngst für ein Jahr garantiert, wie es danach weitergehen soll, ist unklar. Die CEU wurde und wird zu einem großen Teil von George Soros finanziert, einem Kritiker von Premier Viktor Orbán. Gegen ihn wird in Ungarn mit einer antisemitischen Plakatwelle besonders heftig agitiert. Nicht nur Ungarn, auch andere europäische Länder haben Maßnahmen gesetzt, die dem Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft zuwiderlaufen.

Der Angriff auf die Aufklärung

Der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber spricht angesichts dieser Entwicklungen von "postfaktischem Nationalpopulismus" und "einem Angriff auf die Aufklärung". Einige der Folgen: eine zunehmende Wissenschaftsskepsis, aber auch ein verstärkter Braindrain in jenen Ländern, in denen die Wissenschaft unter Druck gerät.

Allein Ungarn haben mittlerweile Hunderttausende Bürger/innen verlassen. Auch die Türkei ist vom Braindrain betroffen. Viele Wissenschaft er/innen haben in Deutschland Zuflucht gefunden und versuchen, sich gegen Erdoğan zur Wehr zu setzen. Sie haben dazu beispielsweise die erste türkische Exiluniversität gegründet – die Off-University. Mit deren Hilfe sollen sich Forscher/innen, die nunmehr in Deutschland leben, vernetzen und ihre Lehre online fortsetzen. Davon sollen auch jene in der Türkei verbliebenen Akademiker/innen profitieren. Währenddessen übt das Erdoğan-Regime zunehmend Druck auf die nach Deutschland geflüchteten Wissenschafter/innen und Intellektuellen aus, erlässt Haftbefehle und fordert ihre Auslieferung, um ihnen in der Türkei den Prozess zu machen.

Druck aus Türkei hat Folgen für europäische Forschung

Die Vorboten dieser akademischen Säuberungen wurden außerhalb der Türkei lange Zeit nicht ernst genommen, so Kritiker/innen. Ein Ziel, das das Erdoğan-Regime mit seiner Hochschulpolitik bereits länger verfolgt, ist, in der Lehre das Bild eines glorreichen osmanischen Großreiches zu propagieren, das ethnisch homogen und rein islamisch gewesen sein soll. Andere Themen wiederum, wie der Genozid an den Armeniern im Ersten Weltkrieg, sind von den Hochschulen verbannt. Die europäischen Osmanistik-Institute fallen dennoch kaum mit kritischen Stellungnahmen zu den ideologisch motivierten historischen Verdrehungen und übrigen Geschehnissen in der Türkei auf – sie dürften selbst Sanktionen fürchten. Etwa, dass ihre Forschungsaufenthalte in der Türkei nicht mehr verlängert oder erst gar nicht zugelassen werden. Nicht nur deshalb sind die aktuellen Bedrohungen der akademischen Freiheit auch eine europäische Frage, der in der öffentlichen Debatte allerdings noch vergleichsweise wenig Raum zugestanden wird.