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Lange Nacht der Erinnerung
Von den Schwierigkeiten des Erinnerns
Das Erinnern tat in der Musik so besonders weh. Als ob sie der Verlust der Vertriebenen und ihrer Musik nicht schmerzte. Die Kontinuitäten der NS-Zeit und des Austrofaschismus standen im Weg. 1938 wurde der Österreichische Komponistenbund aufgelöst, weil er "weitgehend unter jüdischer Führung gestanden" hatte.
10. März 2018, 05:40
Als von den Nazis eingesetzter Leiter war der Musikkritiker des Völkischen Beobachters, Friedrich Bayer, "zugewiesen". Die Wortwahl war beliebt, dadurch wird auch jegliche Verantwortung von sich gewiesen. Bayer war 1934 Mitbegründer des nationalsozialistischen Ständigen Rates für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten, einer Gegenorganisation gegen alle Komponierenden-Organisationen, die als "jüdisch unterwandert" galten. Präsident dieses Rates war Richard Strauss, er war nach dem Untergang des Deutschen Reichs Österreicher geworden.
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Nach der NS-Zeit folgte das Jahr null in der Musikwissenschaft. Die Zuhausegebliebenen begründeten die österreichischen Musikinstitutionen neu, die leitenden Funktionen waren aber in der Hand derer, die auch während der NS-Zeit die Hand darauf gehalten hatten. "Außer über akute Probleme, die der Nazismus hinterlassen hatte, war von Politik kaum die Rede", erzählte Friedrich Cerha 1982.
Die NS-Zeit ist kein Thema, eher der Kohlenmangel
Nur die schwersten Schäden der NS-Zeit sollten behoben werden, nur einzelne Musikschaffende wurden wieder eingeladen oder unterstützt. Für Arnold Schönberg setzten sich die in Wien verbliebenen Kollegen ein, seinen Tantiemen bei der AKM nachzugehen. Korngold, der nach der NS-Zeit zurückgekommen war, fühlte sich von den Musikinstitutionen so schlecht behandelt, dass er in sein Exilland USA zurückkehrte. Die nach Japan Entkommenen schrieben demütige Briefe und warteten ein Leben lang auf Wiedergutmachung.
Erst die Gegenwart beginnt, einer differenzierten Betrachtung Raum zu geben, die zwischen Täter- und Opferschaft, zwischen Mitläufern und Profiteuren unterscheidet. Eher die Dichterinnen und Dichter als die Komponierenden wagen es, von den Verstrickungen zu reden. Joachim Reiber drückt es in seiner Gottfried-von-Einem-Biografie so aus: "Wer diese Vergangenheit zu teilen hatte, scheute den Schmerz des direkten Benennens."
Die geflohenen, oder gar die ermordeten Musikschaffenden sind im Nachkriegs-Wien mit ihrem NS-Schicksal kein Thema, werden kaum vorzüglich behandelt: 1950 wird die Sängerin Charlotte Eisler, Mutter des Malers, wegen mangelnder Beitragszahlungen aus der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik ausgeschieden.
In Schulbüchern wird weiter von "Infanterie, Kavallerie und Haubitzen" gesungen, erst die Schulbuchaktion der 1970er Jahre erlaubt es, neue Musikbücher herzustellen; in den Studentenverbindungen singt man bis heute "Stoßt an! Männerkraft lebe! Hurra hoch! Wer nicht singen, trinken und lieben kann, den sieht der Bursch voll Mitleid an".
Die Musikologie lehrt noch lange nach den Lehrbüchern der NS-Funktionäre, die Forschung an der NS-Zeit und den Verlusten, die sie verursachte, bleibt lange außerhalb der Universitäten. 1945 begründet Joseph Wulf, der sich schließlich aus Verzweiflung 1972 das Leben nimmt, eine Sammlung von Dokumenten der Judenvernichtung; in den 1950er Jahren baut Fred K. Prieberg ein außeruniversitäres Archiv zum Musikleben der NS-Zeit auf.
Zarte Anläufe der Aufarbeitung
Das Wendejahr 1988 bringt zarte Anläufe: Noch lassen sich die Bildungs- und Kulturminister und die Fonds zur Förderung der Wissenschaft in Österreich nicht zu einer Finanzierung überreden, noch bleibt die Forschung an der vertriebenen Musik und an den Vertreibern außeruniversitär. Die Literatur hat bereits 1984 die Theodor Kramer Gesellschaft begründet, in Berlin gründet sich 1990 der Verein musica reanimata.
Wien zögert und sagt schließlich ab, auch als die Firma Decca ihre Reihe "Entartete Musik" von Wien aus mit Wiener Institutionen beginnen wollte. Noch ist es kein Renommee, verfemte Musik zu erforschen und aufzuführen. Erst 1996 gelingt es dem Verein Orpheus Trust, ein Forschungsprojekt zur "verfemten Musik" zu initiieren, als schöne Geste gründet die neu ernannte Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst im Jahr 2016 als erste Tat das Wissenschaftszentrum exil.arte.
Christine Busta schreibt an Gottfried von Einem 1982: "Es bleibt unser Auftrag gegen alle Jahrhundertfinsternis." Worte zu finden für das Musik-Erinnern.
Gestaltung
- Irene Suchy