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Literatur
Hans Platzgumer - Vom Musiker zum Schriftsteller
Viele Jahre hat Hans Platzgumer als Musiker große Erfolge gefeiert. Ende der 1990er-Jahre hat er dann begonnen, sich der Literatur zuzuwenden. 2016 schaffte er aber mit seinem Roman "Am Rand" den Sprung auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis und den großen Durchbruch. Jetzt ist sein neuer Roman "Drei Sekunden Jetzt" erschienen.
24. März 2018, 02:00
Mittagsjournal | 21 02 2018
Wolfgang Popp
Findelkind
Was Francois von seiner Mutter kennt, sind einzig die Bilder einer Überwachungskamera, geschossen in einem Supermarkt, als sie den Einkaufswagen mit ihrem damals einjährigen Sohn, am Regal mit den Comic-Heften stehenließ. Wie schon in seinem Vorgängerroman "Am Rand" schlüpft Hans Platzgumer in die Haut seines Protagonisten und erzählt seine Geschichte aus einer pulsierenden Ich-Perspektive heraus. Hans Platzgumer: "Ich kann dann tatsächlich in diesen Francois hineinrutschen und dann als er Überlegungen anstellen, die ich mir als Hans Platzgumer in der normalen Welt nicht mache. Und dann passieren einerseits gedanklich Sachen, andererseits treibt sich aber auch der Plot von alleine weiter, ohne dass ich mir etwas überlegen muss. Das macht dann alles dieser Francois."
Verloren gegangene Außenwelt
Francois ist ein Findelkind, das es gewohnt ist, gefunden zu werden und dem Leben deshalb oft lethargisch begegnet. So lässt er sich von einem ehemaligen Schulkollegen ohne lange zu überlegen in kriminelle Machenschaften verstricken, bleibt sonst aber eingesponnen in seinen Kokon. Hans Platzgumer: "Auch wenn wir durch die sozialen Medien denken, wir haben viele Friends und bekommen viele Likes, nimmt die innere Vereinsamung doch ganz stark zu. In Skandinavien werden von Regierungsseite schon Maßnahmen dagegen unternommen und auch in England ist ‚Solitude‘ ein großes Thema. Deshalb finde ich dieses Innenleben meiner Protagonisten auch immer so spannend, weil sie ohne große Ablenkung von außen zum Wesentlichen zurückfinden müssen."
Die kleinen großen Momente
Das Leben stößt Francois nach Genf, New York und ins klirrend kalte Montreal. Und durch Platzgumers körpernahe Sprache erlebt man die Einsamkeit der abweisenden Häuserschluchten und friert sich mit Francois durch kanadische Nächte. Und man wird mit ihm aus der Bahn geworfen durch prägende, dabei nur wenige, intensive Minuten dauernde Begegnungen. Hans Platzgumer: "Wir haben oft so kleine Momente, die dann auch gleich wieder verloren sind, nach denen sehnen wir uns und bauen sie in unserer Vorstellung immer weiter aus, so weit bis diese innere Wahrheit genauso stark ist wie die äußere Wahrheit und man eigentlich nicht mehr richtig unterscheiden kann: Wie war wer? Wann war wer? Wo war wer?"
Good Bye Bühne, hallo Schreibtisch!
Auslöser für Platzgumers Roman "Drei Sekunden Jetzt" war übrigens ein Zitat aus Tschechows "Kirschgarten", ein Stück, für das er 2014 die Theatermusik komponiert hat. Musik für Bühne und Hörspiele schreiben, will Platzgumer auch weiterhin, CDs und Auftritte als Musiker soll es jedoch keine mehr geben. Hans Platzgumer: "Es fühlt sich für mich nicht mehr richtig an, auf eine Bühne zu gehen und ein Konzert zu spielen. Das hängt vielleicht auch mit dem Alter zusammen oder mit dem Umstand, dass ich in meinem Leben an die 2.000 Konzerte gespielt habe. Irgendwann hat man das Gefühl, man hat genug und man hat diese Sache ausgeforscht und ich fühle mich auch nicht mehr wohl auf der Bühne."
Umso wohler fühlt er sich jetzt an seinem Schreibtisch, sagt Platzgumer. Was den Rezensenten nach der Lektüre von "Drei Sekunden Jetzt" ziemlich freut.