Filmstill, drei Männer auf der Bank

Filmstill - RICARDO VAZ PALMA/PRISMA FILM

Anatomie eines Prozesses

"Murer" eröffnet Diagonale

Von den rund 80.000 Juden, die im Zweiten Weltkrieg im Ghetto von Vilnius wohnten, haben nur wenige Hundert die Gräuel der Nazis überlebt. Einer der Täter war Franz Murer, dem 1963 - vor allem auf Betreiben von Simon Wiesenthal - in Graz der Prozess gemacht wurde. Murer wurde freigesprochen, ein Skandal, auf den vor einiger Zeit auch der österreichische Regisseur Christian Frosch aufmerksam wurde.

In seinem Film "Murer - Anatomie eines Prozesse" rollt Frosch den Prozess erneut mit der Kamera auf. Heute eröffnet der Film in Graz die Diagonale, ab Ende der Woche ist er in regulär in den heimischen Kinos zu sehen.

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"Der Tod in der Kutsche" - so pflegten die Juden Franz Murer zu nennen, wenn er mit einem weißen Fiaker durch das Ghetto von Vilnius fuhr. Von 1941 bis 1943 war der steirische Großbauer dort hauptverantwortlich für die Massenvernichtung. Ausführlich schritt Murer auch selbst zur Tat, erschoss etwa Juden, die Nahrungsmittel in das Ghetto schmuggeln wollten.

Rund ein Dutzend Zeugen lädt Regisseur Christian Frosch in seinem Film in den Gerichtssaal, um sie die Vorgänge von damals schildern zu lassen. Den Text dazu hat Frosch, der auch das Drehbuch geschrieben hat, nach den Gerichtsprotokollen entworfen. Dabei hat er auch die Aussagen von Franz Murer (Karl Fischer) selbst berücksichtigt. Er kann sich freilich an nichts erinnern oder glaubt an Verwechslungen.

"Gespielte Gerechtigkeit"

Rund um den Prozess - der Film spielt hauptsächlich im Gerichtssaal - entwirft Regisseur Frosch Spielszenen, in denen die Stimmung in der damaligen Öffentlichkeit eingefangen werden soll: die Geschworenen beim Mittagessen, die bei vorsätzlicher Gemütlichkeit dem Schweinsbraten oder Judenwitzen frönen, Journalisten, die zwischen dem Anspruch auf Wahrheit aber auch Desinteresse schwanken, eine Politik, die beim Werben um die Stimmen ehemaliger Nazis im Zwiespalt ist.

Regisseur Christian Frosch: "Wenn man die Gerichtsprotokolle liest, dann hat man das Gefühl, es handelt sich um eine Farce. Man spielt dort nur Gerechtigkeit, will sie aber nicht ernsthaft ausüben."

"Nichts verfälschen"

Immer wieder lässt der Film den Täter und die Opfer vor Gericht direkt aufeinanderprallen, face-to-face im wahrsten Sinne des Wortes, mit der Kamera auf Augenhöhe, eine filmsprachliche Geste der Zuspitzung von Leid im Erinnern, aber auch von jener moralischen Gerechtigkeit, die den Opfern im Prozessausgang juristisch verwehrt blieb.

Doch wie nahe ist das Gezeigte an der Wirklichkeit dran und wo beginnt die künstlerische Freiheit? "Ich bin genau, wenn es inhaltlich wichtig ist, ich bin aber frei, wenn es um Figurenzeichnung und Verdichtung geht. Ich wollte aber auf keinen Fall etwas verfälschen", meint Regisseur Frosch.

Justizskandal-Aufarbeitung

Der Film "Murer-Anatomie eines Prozesses" behandelt - übrigens mit Karl Markovics in einer kleinen Rolle als Simon Wiesenthal - nicht nur die Aufarbeitung von Geschichte, sondern versteht sich selbst als Geschichtsaufarbeitung, Aufarbeitung eines österreichischen Justizskandals mit seinen juristischen Irrtümern aber auch seinen "mentalitären" Nebengeräuschen.

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