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1918
Oesterreichische Nationalbank, Wien
Mit dem großzügigen, begrünten Vorplatz an der Alser Straße wirkt das Gebäude zwar imposant, jedoch niedriger als es mit neun Stockwerken tatsächlich ist: die Hauptstelle der Oesterreichischen Nationalbank am Otto-Wagner-Platz in Wien-Alsergrund.
21. November 2018, 10:55
Vom Großpalast zum Hinterhaus
Anna Soucek
Wende in der Baugeschichte: 1918
Architektur: Leopold Bauer (Erstentwurf); Ferdinand Glaser und Rudolf Eisler (Adaptierung und Fertigstellung)
Adresse: 1090 Wien, Otto-Wagner-Platz 3
Dass es sich dabei nur um Druckereigebäude eines ursprünglich viel mächtiger angelegten Bankpalastes handelt, erklärt Claudia Köpf, Historikerin und Mitarbeiterin des Bankhistorischen Archivs der OeNB.
"Wenn man hinunter schaut auf unseren Vorplatz, der heute ein schöner Park ist, hat man einen tollen Ausblick. Aber so hätte das gar nicht werden sollen. Nach den ursprünglichen Plänen von Leopold Bauer hätte hier ein gigantischer Bau entstehen sollen, ein Bankpalais, aufgeteilt in zwei große Gebäude. Die Hauptfront an der Alser Straße, nur gedacht für Kassensaal, Büros und die Abwicklung des Tagesgeschäfts, hätte gereicht bis zur Schwarzspanierstraße. Und dahinter, über eine mehrstöckige Brücke verbunden, hätte die Fabrik für die Banknoten-Druckerei sein sollen. Warum diese Pläne des Architekten Leopold Bauer nicht umgesetzt wurden, ist dem Ersten Weltkrieg geschuldet. 1918, das Schicksalsjahr, hat auch diese Baustelle entschieden, denn die Vision von einem Bankpalast ist mit dem Zerfall der Monarchie geplatzt", so Claudia Köpf.
APA/HERBERT NEUBAUER
Man betritt das Gebäude über den Haupteingang, mit dem Originalrelief von 1915. Nach den Sicherheitsschleusen kommt man zum Aufgang zum ehemaligen Kassensaal, einer eindrucksvollen Prunkstiege von 1925. "Damals konnte noch jeder ein Konto bei der Nationalbank haben. Dazu brauchte man einen Kassensaal und ein repräsentatives Entree. Und diese Prunkstiege ist noch genauso erhalten wie damals: mit Marmorverkleidungen und einem imposanten Kandelaber. Man ist dann in den Kassensaal hineingegangen, wo man Schecks und Wechsel einreichen konnte und Überweisungen ausfüllen". Dieser Raum wird heute nur mehr als Veranstaltungssaal genützt und hat sich stark verändert, seit das Privatkundengeschäft 1972 aufgelassen worden ist und vor allem seit dem verheerenden Brand von 1979, nach dem das ganze Gebäude mehrere Jahre generalsaniert werden musste.
Den Charme der Prunkstiege sieht man erst auf den zweiten Blick, meint Claudia Köpf, "auf den ersten Blick vermisst man vielleicht sehr verspielte Details. Das war aber auch gar nicht der Geschmack der damaligen Zeit. Es sollte durch schlichte Eleganz punkten und durch solides Auftreten." Die ursprünglichen Pläne von Leopold Bauer, noch vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt, sahen ein Gebäude im Neoklassizismus vor mit einem eher wuchtigen Erscheinungsbild. Dieses hat sich im Inneren ein wenig erhalten – Schmucklosigkeit ist nach dem Ersten Weltkrieg hochgehalten worden.
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Archivbild von 1938
Die Oesterreichische-ungarische Bank, wie die Notenbank seit 1878 geheißen hat, hatte gerade vor dem Ersten Weltkrieg ihre Blütezeit und eine immense Ausdehnung erreicht: 104 Filialen und 179 Banknebenstellen, verteilt im ganzen Reich, vom entfernten Galizien, über Istrien bis tief ins heutige Rumänien hinein. Die Bank hatte zwei Hauptanstalten: eine für die österreichische Reichshälfte und eine für die ungarische. Während die Hauptanstalt in Budapest schon 1905 errichtet wurde, pompös und repräsentativ, im Pomp der Wiener Ringstraßengebäude, war die Bank in Wien damals hat man in Wien mit Platzproblemen gekämpft.
Die Bank war damals in der Herrengasse untergebracht, im Palais Ferstel und in angrenzenden Nebengebäuden. Dort hat man schon längst mit Platzproblemen gekämpft und nach einem neuen Bauplatz in Wien gesucht, um Büros und die Banknotendruckerei an einem Bauplatz zu vereinen. Und diesen Bauplatz hat man auf dem Gelände der in die Jahre gekommenen Alser Kaserne gefunden, die in der Folge abgerissen wurde. Die Bank schrieb 1910 einen Architekturwettbewerb aus, den Leopold Bauer für sich entschied. Er war ein Schüler von Otto Wagner, zerwarf sich aber um 1908 mit ihm und übernahm 1913 – als sein Widersacher – dessen Professur an der Akademie.
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Dass der Platz später nach dem 1918 verstorbenen Otto Wagner benannt werden sollte, war eine ironische Geste, hatte dieser doch zeitlebens nie mit dem Großprojekt zu tun, auch nicht als Teilnehmer am Wettbewerb. Und dass zwei Gassen weiter ein frühes Zinshaus von Wagner steht, das sogenannte Hosenträgerhaus an der Ecke Universitätsstraße/Garnisongasse, kann für die Platz-Benennung nicht ausschlaggebend gewesen sein.
Zur Zeit der Planung der Oesterreichisch-ungarischen Bank war Leopold Bauer also ein aufstrebender Architekt, und er entwarf für das Wiener Hauptgebäude ein gigantomanisches Bankpalais, entsprechend dem Repräsentationsbedürfnis der Großmacht und ihrer Notenbank. Es sollte – aus Sicherheitsgründen – zweigeteilt sein: vorne der Palast und hinten dran, über eine mehrstöckige Brücke verbunden, ein eigenes Druckereigebäude für die Banknotenfabrikation.
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Der Hauptgebäudeteil hätte einen Turmaufbau mit einer Kuppel und einer Gesamthöhe von 88 Metern haben sollen – er hätte die schräg gegenüberliegende Alser Kaserne um das doppelte überragt und das Stadtbild massiv dominiert: ein Wiener Wolkenkratzer – zwei Jahrzehnte vor dem ersten Hochhaus in der Herrengasse. Der Turmaufbau der war aber nicht nur aus ästhetischen Gründen so hoch, sondern um die Luft anzusaugen von der dort oben angeblich reinen Stadtluft, denn wissenschaftliche Forschungen hätten ergeben, dass die Luft oberhalb der Schornsteine bakterienfrei sei. Das hätte sich wunderbar geeignet für ein ausgeklügeltes Heizungs- und Lüftungssystem im Inneren des Gebäudekomplexes, worauf Leopold Bauer besonders stolz war.
Die Größe des geplanten Bauwerks war durch den Geschäftsumfang der Bank gegeben. Doch Leopold Bauer hatte nicht nur das Bankgebäude im Sinn, sondern wollte die ganze Umgebung neu gestalten. Nach seinen Ideen hätte das Alte AKH abgerissen werden müssen; und im Anschluss an das Bankpalais wollte Bauer noch mehrere, repräsentative Bauten planen.
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1913: Bankpalast, Blick in die Alserstrasse
Die Realität hätte allerdings anders ausgesehen: Durch die bauliche Enge wäre das Gebäude mit dem elfgeschossigen Turm kaum zur Geltung gekommen. "Es wäre eher ein bisschen eingekeilt gewesen", beschreibt Claudia Köpf, "ungefähr so, wie man es von der New Yorker Börse kennt, die ja auch eher wie mit dem Schuhlöffel reingedrückt ist zwischen den Gebäuden. Vielleicht ist es aus städtebaulicher Sicht sogar gut, dass es nicht gebaut wurde. Man hätte es nie so wahrgenommen, wie auf dieser Zeichnung, mit diesem Weitwinkel-Blick. Man wäre davor gestanden und wäre von der Höhe schlicht erschlagen gewesen."
1913 begann man noch voller Optimismus zu bauen, aber schon bald – im Laufe des Ersten Weltkriegs – sind die Bauarbeiten abgebrochen worden und 1917 zu einem kompletten Stillstand gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war das damalige Druckereigebäude nur im Rohbau fertig: Die Grundmauern standen, aber die Grundausstattung fehlte. Mit der Auflösung der Monarchie und der Ausrufung der Republik am 12. November 1918, schrumpfte nicht nur das Vielvölkerreich, sondern auch das Geschäftsvolumen der Nationalbank. Vorübergehend fand sie in der Herrengasse noch ihr Auslangen, doch es war klar: Es brauchte einen neuen Standort.
Leopold Bauer hat lange auf die Wiederaufnahme der Bauarbeiten gehofft und die Pläne vielfach geändert, aber für die neue Republik war dieser Bau überdimensioniert und auch überteuert, so Köpf: "Das hat nicht mehr gepasst", und man hat den Vertrag mit Bauer gelöst."
Nun sollte der Weiterbau aber noch einige Jahre warten, denn es galt, die Oesterreichisch-ungarische Bank aufzulösen und die neue Oesterreichische Nationalbank zu konstituieren. Die Liquidierung der Oesterreichisch-ungarischen Bank aus der Monarchie war Teil der Friedensverträge von Saint Germain von 1919 und involvierte auch die Nachfolgestaaten der Habsburger-Monarchie. Die Aufteilung der Aktiva und Passiva der Bank zog sich bis 1922, und erst mit 1. Jänner 1923 nahm die neue Oesterreichische Nationalbank ihren Betrieb auf. Als eine ihrer ersten Tätigkeiten beschloss die Institution, den aus der Liquiditätsmasse der Oesterreichisch-ungarischen Bank stammenden Rohbau anzukaufen und – in kleineren Dimensionen – fertigzustellen und umbauen zu lassen.
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Druckereigebäude, Nordansicht
"Da hat sich ein großes Problem aufgetan, denn dieses Fabrikationsgebäude hatte massive Decken und Böden aus Stahlbeton, um die Druckmaschinen tragen zu können. Um Raum zu schaffen für Büros und Stiegenhäuser mussten diese Konstruktionen, selbst knapp einen halben Meter dicke Panzerwände, abgetragen und entfernt werden – eine extrem aufwändige und mühsame Arbeit", erklärt Köpf.
Der Umbau wurde dem hauseigenen Baubüro übertragen, namentlich den Architekten Ferdinand Glaser und Rudolf Eisler. "Man von ihnen erwartet, dass sie rasch und kostengünstig diesen Umbau bewerkstelligen, und sie haben das tatsächlich geschafft – in einer Rekordumbauzeit von weniger als zwei Jahren ist aus diesem Rohbau ein fertiges Nationalbankgebäude geworden", erzählt Claudia Köpf. Dazu wurden Zwischengeschoße eingezogen – vorher hatte das Gebäude fünf Stockwerke, heute hat es neun. "Das sieht man heute noch, wenn man auf die Nationalbank zugeht: Es gibt unterschiedlich hohe Geschoße und Fensterfronten, die sich abwechseln. Wir stehen jetzt in einem Pausenraum im dritten Stock und da sieht man immer noch die wirklich sehr hohe Raumhöhe, die vorgesehen war für die Produktion von Banknoten", so Köpf.
Eröffnet wurde das neue Hauptquartier 1925, nur wenige Wochen nach der Einführung der Schillingwährung. "Das war sicher kein Zufall, denn beides, die neue Währung und die neue Nationalbank, standen ja für Aufbruch, für Zuversicht, für Hoffnung auf bessere Zeiten, auf bessere Wirtschaft. Das hat sich auch wirklich so abgezeichnet. Die Hyperinflation der letzten Jahre war überwunden. Die neue Währung hat Hoffnung versprochen. Und die Wirtschaft ist langsam wieder in Gang gekommen. Das war sicher ein symbolträchtiges und gesteuertes Zusammentreffen."
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Heute ist das Gebäude über eine gläserne Brücke mit einem Nachbarbau verbunden. Von der Brücke hat man einen guten Ausblick auf die Reliefs an den Seitenfassaden des Hauptgebäudes. Sie stammen von den beiden Bildhauern Heinrich Zita und Josef Obeth. Diese Reliefs entstanden unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs – sie waren in den ursprünglichen Entwürfen von Leopold Bauer nicht vorgesehen.
Zum Teil beziehen sie sich auf die Säulen einer funktionierenden Wirtschaft, es gibt Allegorien auf Handel und Industrie. Es gibt aber auch weniger positive Motive, etwa Totenköpfe. "Man könnte es so deuten, dass Krieg und Frieden Hand in Hand gehen, oder dass der Frieden auf den Trümmern des Krieges entstanden ist", so Claudia Köpf. "Ein Relief zeigt zwei Figuren wie Adam und Eva und eine Schlange, die sich Geld untereinander zuteilen. Das soll die mahnende Botschaft sein, dass – so wie die Schlange bei Adam und Eva – eben auch Geld die Menschen verführen und in den Abgrund treiben kann. Und das ist schon eine ganz andere Botschaft, als sich das Leopold Bauer vor dem Ersten Weltkrieg vorgestellt hat, der eigentlich nur eine überschäumende Euphorie und Gigantomanie an den Tag legte. Diese ernüchterte Einstellung zeigt, dass die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs ihre Spuren hinterlassen haben auf dem Gebäude."
Service
Leopold Bauers Bankpalais in der OeNB-Unternehmensgeschichte
Das Jahr 1918 in der OeNB-Unternehmensgeschichte
Bankhistorisches Archiv der OeNB
Leopold Bauer im Architektenlexikon
Rudolf Eisler im Architektenlexikon Ferdinand Glaser im Architektenlexikon
Gestaltung
- Anna Soucek