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ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
1977
Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien
Die ambitionierte Konstruktion des Bauwerks ist auch für sein auffälliges Erscheinungsbild bestimmend: meterdicke Türme tragen Brücken, von denen die Geschoße abgehängt sind - gehalten von blauen Stahlrohren, die das ganze Haus längs einfassen. Das Forschungs- und Verwaltungszentrum der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, kurz FVZ der AUVA, wurde vom Architekten Kurt Hlaweniczka entworfen, um mehrere Dependancen der AUVA an diesem Standort in Wien-Brigittenau zusammenzuführen.
18. Oktober 2018, 14:22
Groß, modern, unkaputtbar
Anna Soucek
Fertigstellung: 1977
Architektur: Kurt Hlaweniczka
Adresse: 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65
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AUVA
Grundriss
600 Menschen arbeiten hier in etwa; das Haus sei ein sympathischer Ort und zweifellos "ein Kind seiner Zeit", findet die Architekturtheoretikerin Isabela Marboe.
Aufgebaut wurden die zehn Türme im unkaputtbar Schichtverfahren. Die fensterlosen Querträger befinden sich auf 30 bzw. 60 Meter Höhe und enthalten Haustechnikanlagen. Die blauen Stahlrohre sind mit Frostschutzmittel gefüllt. Dieses kann zirkulieren, sodass ein Wärmetausch stattfindet und die Ausdehnung der sonnenbeschienen Seite ausgeglichen wird. Begründet wird die ungewöhnliche Konstruktion der abgehängten Geschosse mit der geringen Tragfähigkeit des Grundes.
Als die AUVA das 14.000 Quadratmeter große Grundstück erwarb, ergaben Untersuchungen, dass der Grund nur ein vierstöckiges Haus tragen würde, was den Platzbedarf nicht gedeckt hätte. Diese Bautechnologie wurde hier erstmals in dieser Form und Größenordnung angewandt. Ähnliche Konstruktionen sind das Juridicum (1984) von Architekt Ernst Hiesmayr, sowie die BMW-Welt (1973) von Architekt Karl Schwanzer. Mit Schwanzer hat der AUVA-Planer Kurt Hlaweniczka übrigens auch an der Überbauung des Franz-Josef-Bahnhofs zusammengearbeitet.
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RICHARD REICHART
Isabella Marboe, Journalistin und Redakteurin des Magazins "Architektur Aktuell" wohnte in der Nähe der AUVA-Hauptstelle und begleitet uns auf dem Rundgang durch das unübersehbare Bauwerk, über dessen Innenleben wenig nach Außen dringt. Die schiere Größe, die technoide Gestaltung, Beton und die Zurschaustellung neuer Bautechnologien sei für die Moderne der 1970er Jahre typisch, sagt Isabella Marboe, solche Bauwerke hätten auch etwas Utopisches, meint sie, ja gar: etwas Optimistisches: "Man war stolz auf die Versicherung und wollte etwas Tolles bauen - dafür steht das Bauwerk, als Flaggschiff."
"Von der Gebäudestruktur und dem Grundriss her ist es ein Bauwerk, das für die Arbeitsleistung sehr positiv ist. Wir haben relativ viele Besprechungszonen, auch die Möbel folgen einem modularen System, das Adaptionen und Umbauten erlaubt; es ist alles entsprechend ausgestaltet hier", erzählt Ingenieur Thomas Manek. Der Experte für Unfallprävention ist seit 30 Jahren bei der AUVA und ist stellvertretender Leiter der Sicherheitstechnischen Prüfstelle. Nicht nur Büros enthält das FVZ, sondern auch Forschungseinrichtungen, chemische Labors und Prüfanlagen.
Es gibt einen von der Bausubstanz abgekoppelten, schallarmen Raum, und es gibt einen Fallschacht, der mehrere Stockwerke durchquert und etwa für die Überprüfung von Gurten für die Absturzsicherung genutzt wird. Thomas Manek: "Ein mit Gurten ausgestatteter Dummy wird in die Höhe gezogen und wird aus dieser einer europäischen Norm entsprechenden Höhe fallengelassen. Man schaut: hält der Dummy das aus und wie dämpft er den Stoß ab. Das sind Produktprüfungen - denn damit Produkte auf den Markt gebracht werden können, müssen sie geprüft und zertifiziert werden; und wir sind eine der Prüfstellen, die diese Leistungen anbieten."
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ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Beinkleider werden mit Kreissägen bearbeitet, Schihelme auf ihre Schutzfunktion überprüft, Gurte auf ihre Reißfestigkeit und Sicherheitskleidung auf ihre Beständigkeit überprüft. In einer mit Wasser gefüllten Plexiglas-Kiste werden mit Arbeitsschuhen Schritte simuliert, um festzustellen, ob und wann Wasser eintritt. Und in einem Hochofen wird Metall erhitzt, sodass es flüssig über Sicherheitskleidung gegossen werden kann.
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ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Den sich ständig ändernden Anforderungen ist das Bauwerk, das all diese komplexen Prüfanlagen enthält, gut gewachsen - auch weil es kontinuierlich erneuert, umgebaut, adaptiert und sehr gut instand gehalten wurde. "Wir versuchen durch ständige Investition den Bestand des Gebäudes zu sichern", sagt Thomas Manek. Allein: Die maßgefertigten Zwischenwände, mit denen Büros einfach abgetrennt und erweitert werden können, gehen langsam aus und werden daher sorgsam verwahrt. Sonst ist in vielen Büros die Erstaustattung aus den 1970er Jahren noch erhalten, Leder-Drehsessel und Alu-Aschenbecher, selbst Papierkörbe, deren Anschaffungswert einst kritisiert worden war.
Service
Gestaltung
- Anna Soucek