ORF/REINHARD SEISS
1985
Wohnpark Alt Erlaa, Wien
Lange wurde der Wohnpark Alterlaa kritisiert als "Wohnmaschine für eine anonyme Masse" – so viele Einwohner auf so geringem Raum, das müsse Probleme verursachen. Das meinten die Außenstehenden. Von den Bewohnerinnen und Bewohnern der sechs Wohnblöcke selbst wurde ihr Zuhause stets standhaft verteidigt. In den letzten Jahren ist die Wohnanlage aus den 1970er Jahren zu einem Architektur-Hit avanciert.
17. Mai 2018, 10:32
Schwimmbad mit Stadtblick für glückliche Menschen
Anna Soucek
Fertigstellung des letzten Bauteiles: 1985
Architekten: AG Harry Glück, Kurt Hlawenicka, Rquat & Reinthaller & Partner
Adresse: 1230 Wien, Anton-Baumgartner-Straße 44
„Die Grundparameter, die Menschen an ihrem Wohnort suchen, spielen uns die durch Besitz und Macht Privilegierten aller Zeiten eigentlich seit Jahrtausenden unverändert und in allen Kulturen gleich vor.“
Zu diesen Grundparametern, die der 2016 verstorbene Architekt Harry Glück zu Maximen seiner Entwurfsarbeit machte, gehören: Nähe zu Wasser, Zugang zur Natur und Gemeinschaft mit den Nachbarn bei größtmöglicher Privatsphäre. All das wollte er mit seiner Architektur nicht nur den „durch Besitz und Macht Privilegierten“ bieten, sondern möglichst vielen Menschen. "Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl!", lautete seine Formel.
Bei Umfragen über die Wohnzufriedenheit schneidet ausgerechnet das mit über 3.000 Wohnungen bei weitem größte Bauprojekt, das Harry Glück leitete, stets hervorragend ab: der Wohnpark Alt Erlaa in Wien-Liesing. Rene Prassé lebt mit seiner Frau seit über vierzig Jahren hier. Baubeginn war 1973, der letzte Wohnblock wurde 1985 besiedelt. Die Fluktuation der Bewohner ist erstaunlich gering, entsprechend habe sich „der Rollatorverkehr in der Garage“ erhöht, meint Prassé. Jedoch würden auch bereits die Kinder und Enkelkinder der Erstbezieher nachziehen, so der Pensionist.
Der Wohnpark Alt Erlaa besteht aus einem Einkaufszentrum, einer Kirche, verschiedenen Nebengebäuden und den sechs sich nach oben verjüngenden Türmen mit bis zu 27 Stockwerken. Die markanten Blocks stehen in großzügigem Abstand zu einander und beherbergen fast 10.000 Menschen. Jede Wohnung ist mit einer begrünten Terrasse oder einer Loggia ausgestattet. Es gibt zahlreiche Gemeinschaftsräume in jedem einzelnen Block, etwa ein Hallenbad oder auch ein – für Glücks Wohnbauten charakteristische – Schwimmbecken am Dach. Die Erschließungswege sind weniger attraktiv, gedrungen und ohne Tageslicht. Aber es sind eben nur Durchgangsorte; Die Kommunikation zwischen den Nachbarn findet – wenn gewünscht – andernorts statt.
Die Wohnpark-Bewohner identifizieren sich erstaunlich stark mit der Anlage, von „gelebter Nachbarschaft“ wird geschwärmt; und sie sind hervorragend organisiert. Es gibt einen eigenen Fernseh-Sender und zahlreiche Hobby-Clubs. Seit Beginn gibt es einen Mieterbeirat, was bei anderen kommunalen Wohnbauprojekten erst später eingeführt wurde.
Trotz der in Wien verankerten Tradition der Gemeindebauten: Die liebste Wohnform, sagte Harry Glück in einem TV-Interview 1975, sei das Einfamilienhaus, mit eigenen Grünflächen, frei gestaltbar – und für viele unerschwinglich. „Wir haben daher hier eine Wohnform zu realisieren versucht, die in etwa dem gestapelten Einfamilienhaus entspricht. Das heißt: Jede Wohnung hat einen der Wohnung zugehörigen Freiraum. Und von dieser Terrasse aus geht der Blick auf den großen, bepflanzten Gartenhof. Wir bieten den Leuten also sehr viel von den Charakteristika, die das Einfamilienhaus aufweist.“
Darüber hinaus bietet der Wohnpark aber auch eine gemeinschaftlich genutzte Freizeitinfrastruktur, sowie eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr. So gilt der Wohnpark Alt Erlaa heute – nach einstigen Anfeindungen von Glücks Architektenkollegen – nicht nur wegen des Komforts für den Einzelnen als Musterbeispiel für sozialen Wohnbau am Stadtrand. Aus der lange als anonymes Massenquartier verrufenen „Stadt in der Stadt“ ist ein in Architekturkreisen gefeiertes, wegweisendes Modell geworden.
Gestaltung und Text: Anna Soucek