Kopfsteinpflaster

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Mailuft in Krähwinkel. Wien 1968.

Wien, ein Jahr vor der Revolte. Das war, so erzählen elf Leute, die sich damals als "junge, frische Revolutionäre" fühlten, eine graue, enge Stadt. Der Faschismus war noch allgegenwärtig in den Köpfen und Herzen, gut unter einer Tuchent versteckt.

Die Jungen fürchteten die stumpfe Auswendiglernerei, die ihnen die Professoren abverlangten, langweilten sich auf einer Uni, die ihnen Sexualität am Beispiel von Ratten und Mäusen erklärte und hatten das Gefühl, in der spießigen Atmosphäre keine Luft zu bekommen. Sie lehnten sich gegen die Feindseligkeit auf, mit der die Erwachsenen reagierten, wenn sie in ein Rockkonzert gehen und dort tanzen wollten. Sie hätten nichts zu melden, wurde ihnen erklärt, und schon gar kein Recht zu demonstrieren, solange sie nichts gelernt hätten und etwas darstellten in einer Welt, von der das kleine, am östlichen Rand des Westens gedrückte Österreich eigentlich nichts wissen wollte.

1968 öffnete sich dann das Fenster zur Welt. Im Jahr zuvor geriet die Jugend in den USA, in Italien, in der Bundesrepublik, in Skandinavien und in Japan in Bewegung. Die Unruhe drang auch nach Österreich vor. Am Firmament, so Robert Schindel, der Kopf der "Kommune Wien", stand der Vietnamkrieg und die Franco-Diktatur in Spanien. Er organisierte die ersten Aktionen an der Uni Wien und ein halbes Jahr später im Frühjahr 1968 auf Ersuchen von Günther Brus, Oswald Wiener und Peter Weibel die legendär gewordene "Uni-Ferkelei".

Filmstill aus "Kunst & Revolution", einer Dokumentation über die berühmte "Uni-Ferkelei"

Filmstill aus "Kunst & Revolution", einer Dokumentation über die berühmte "Uni-Ferkelei"

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Vier Wochen zuvor hatte Wolf Prix mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer das Architekturbüro "Coop Himmelblau" gegründet, just an jenem Tag, als die Pariser Studenten Transparente mit der Aufschrift "Fantasie an die Macht" vor sich her trugen und der Polizei Straßenschlachten lieferten. Timo Huber und die "Zünd Up" Gruppe erregten durch ihre ebenso fantasievollen wie anarchischen Projekte an der Technischen Universität Aufsehen.

  • Demonstranten in Wien, 1968

    Demonstranten in der Wiener Innenstadt, 1968

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  • Demonstranten

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  • Graffiti inTschechoslowakei 1968

    Graffiti inTschechoslowakei 1968: "Lenin erwache, Breschnew ist verrückt geworden"

    ÖNB/VGA

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Auch in Wien genügten bereits einige Flugzettel, um Tausende auf die Straße zu bringen: Gegen die alten Ordnungen, durch die der Geruch des nie weggeräumten Nazischutts drang. Gegen die sexuelle Verklemmtheit. Gegen die Autoritäten, die das Zepter schwangen über das, was Kunst, Wissenschaft, Architektur, Musik, die Politik und das Leben überhaupt zu sein hatten. Gegen die hartnäckige Selbstzufriedenheit, die sich nicht um das repressive Regime des Schah von Persien und die Napalm-Bomben auf Vietnam scherte. Alles das wurde für ein Versprechen in Frage gestellt, die bürgerlichen Freiheiten, Gleichheiten und Brüderlichkeiten, also die Tradition der 1848er, unter dem Pflaster zu suchen, an dem der Strand liege. "Es hat gewurlt und gebrannt" in den Jungen, und den Takt zu ihrer Revolte schlug die Rockmusik, erzählt Edek Bartz, Musiker und damals Plattenverkäufer.

Sowjetische Truppen in Prag

AP/CTK

Im August 1968 brach die stürmische Welle durch die sowjetischen Panzer, die den "Prager Frühling" niederwalzten. Aber auch wenn aus den großen Träumen und Utopien nichts wurde - die Welt war eine andere geworden. Reisebegleiter sind Menschen, die sich damals aufgemacht haben, um an einigen verrosteten Schrauben zu drehen. Mit Wolf D. Prix, Robert Schindel, Valie Export, Robert Dornhelm, Edek Bartz, Katja Rainer, Eva Ribarits, Georg Hoffmann Ostenhof, Bruno Aigner, Timo Huber und Ernst Berger.

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