Alexander Kluge

MARKUS KIRCHGESSNER

Alexander Kluge

"Jede Kamera ist klüger als ihr Regisseur!"

Das Belvedere 21 in Wien widmet dem deutschen Autorenfilmer und Autor Alexander Kluge eine Schau.

Morgenjournal | 05 06 2018

Christine Scheucher

Er gilt als hellsichtiger und engagierter Diagnostiker unserer Zeit und hat mit seinen Filmen das deutsche Autorenkino der 1960er, 70er und 80er Jahre geprägt. Alexander Kluge ist Autor, Regisseur und Fernsehmacher. Vielen gilt er als letzter Universalgelehrter Deutschlands. Jetzt ist Kluge in der Kunstwelt angekommen.

Ein Teach-in an der Universität in Frankfurt gesellschaftspolitischen Wendejahr 1968: Wir sehen, wie die Studierenden in übervollen Hörsälen debattieren, streiten, Arbeitsgruppen bilden und nebenbei über Privates sinnieren. Dokumentiert hat das Geschehen der Filmemacher Alexander Kluge. Der studierte Jurist Kluge, Jahrgang 1932, ist einige Jahre zu alt, um im Kern der Studentenbewegung mitzuwirken, doch er gehörte zu jener Gruppe Intellektueller, die maßgeblich daran beteiligt gewesen war, einen Wertewandel in der alten Bundesrepublik einzuleiten.

In den 1960er Jahren ist Kluge ein Vertrauter Theodor W. Adornos, dessen distanziertes Verhältnis zu den Studentenprotesten weithin bekannt ist. "Ich bin als Filmemacher Zeitzeuge, meine Aufgabe ist nicht zu entscheiden, ob mir das gefällt oder nicht gefällt. Ich muss zunächst aufnehmen, was ich sehe. Wir haben damals an der Frankfurter Universität neun Stunden Material gedreht."

"Ich bin als Filmemacher Zeitzeuge."

Das Belvedere 21 hat sein Ausstellungsprogramm im diesem Jahr unter das Motto "spirit of 68" gestellt und fragt nach dem Erbe der antiautoritären Protestbewegung. Was bleibt 50 Jahre nach 1968? "Es sind Erfahrungsgehalte", sagt Alexander Kluge, "es ist interessant, diese zu tradieren und nach 50 Jahren neu anzuschauen. Wir dürfen nicht denken, dass so ein Protest etwas historisch Vorübergehendes ist. Auflehnung gegen Hierarchien wird es immer wieder geben. Sie sollten nicht für immer aussichtslos sein."

In den frühen 1960er Jahren gehörte Alexander Kluge zu einer Gruppe junger Filmemacher, die gegen das etablierte Nachkriegskino Front macht. In Deutschlands Kinosälen dominierten überzuckerte Idyllen, Kostümschinken und Heimatfilme, die das Trauma des Krieges vergessen machen sollen. 1962 formulieren junge Filmschaffende während der Kurzfilmtage in Oberhausen das so genannte "Oberhausener Manifest". Eine Kampfansage an den Nachkriegskitsch und die Geburtsstunde des Neuen Deutschen Autorenfilms, der mit Namen wie Volker Schlöndorff, Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Alexander Kluge verknüpft ist. "Wir konnten mit dieser altväterlichen Art von Film gar nichts anfangen. Wir hielten diese Machwerke nicht für Filme. Es waren bebilderte Drehbücher. Ein Film ist etwas ganz Kühnes. Das sind wirkliche Bilder. Jede Kamera ist klüger als ihr Regisseur. Nach diesen Grundsätzen sind wir vorgegangen. Das Temperament von Fassbinder passte nicht zum Konfektionsfilm", erinnert sich Kluge.

Ein Manifest gegen den Nachkriegskitsch

Doch die Ausstellung im Belvedere 21 widmet sich nicht allein dem Filmemacher Alexander Kluge. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Publikum einen großen Seismografen unserer Gegenwart näherzubringen. Fragt sich nur, welchen Mehrwert eine museale Präsentation bringt. Alexander Kluge bleibt um keine Antwort verlegen: "Man kann in der Ausstellung die Bilder im Raum erleben. Das ist eine ganz andere Erfahrung als im Kinosaal."

Ausstellungsansicht

Belvedere, Wien, 2018 / Johannes Stoll

In der Ausstellung "Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie" werden die Bilder, die Alexander Kluge seit einigen Dekaden zum Zirkulieren bringt, im Raum erfahrbar. Zudem tritt Kluge in Dialog mit Künstlerkollegen. Arbeiten von Thomas Demand und Anselm Kiefer inspirierten Kluge zu Filmen. Die große österreichische Lyrikerin Friederike Mayröcker verfasste Texte, die Kluge wiederum in einem Film aufgreift. Wer diese Bilderwelt betritt, erlebt die Geburt der Theorie aus dem Geiste des Dialogs.

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