Truppen der Sowjetunion in Prag, 1968

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Lebenskunst

"Wir waren so begeistert" - Stimmen zum Prager Frühling

1968 war nicht nur das Jahr von Studentendemonstrationen und Flower Power - es war auch das Jahr des Prager Frühlings. An der Spitze der tschechoslowakischen KP stand damals Alexander Dubcek.

Er gilt heute als Reformkommunist, als einer, der Gorbatschows Prinzipien Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) schon 20 Jahre vor der Wende umsetzen wollte. Auch wenn das damals anders formuliert wurde: Kommunismus mit menschlichem Antlitz – unter diesem Motto wurde Dubceks Linie subsumiert.

Litfaßsäule mit einem Bild von Alexander Dubcek

Alexander Dubček

ORF/BRIGITTE KRAUTGARTNER

Die Monate des Prager Frühlings brachten nach innen eine in der kommunistischen Ära nie dagewesene Freiheit mit sich – und nach außen eine Öffnung, zum Beispiel in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht.

Ein gewaltsames Ende fand der Prager Frühling in der Nacht auf den 21. August 1968, als Truppen aus der Sowjetunion und mit ihr verbündeten Staaten in der Tschechoslowakei einmarschierten. 50 Jahre ist das jetzt her. Zu den Nachwehen des Prager Frühling zählt auch die Verzweiflungstat eines 20-Jährigen: der Philosophie-Student Jan Palach hat sich im Jänner 1969 aus Protest gegen die Invasion selbst verbrannt.

Beerdigungszug von Jan Palach

Das Archivbild vom 25. Jänner 1969 zeigt den Beerdigungszug von Jan Palach in der Prager Altstadt.

APA/CTK

Die Literaten waren die ersten, die die Zensur abgeschüttelt haben.

"Mein Vater war ein überzeugter Anti-Kommunist. Deshalb hat er auch keine Zeitungen gelesen, die waren ja alle von den Kommunisten beeinflusst. Und eines Tages, es muss so im Mai gewesen sein, kam er aus der Arbeit heim. Unter dem Arm eine große Zeitung. Ich habe genauer hingesehen: sie hieß "Neuigkeiten aus der Literatur". Die Literaten waren die ersten, die die Zensur abgeschüttelt haben. Und in dieser Zeitung wurde das erste Mal seit dem Krieg offen über das Sudentenland und die Zerstörungen dort geschrieben". Petr Kolar, Jesuit und pensionierter Radiomacher.

Auch ein Verdienst von bestimmten Mitgliedern der damaligen kommunistischen Partei.

"Meiner Meinung nach hat der Prager Frühling zwei Ursprungs-Quellen. Es gab ein paar Schriftsteller, die sehr tapfer gewesen sind. Aber vor allem ist der Prager Frühling auch ein Verdienst von bestimmten Mitgliedern der damaligen kommunistischen Partei. Sie haben gespürt, dass es nicht so weiter geht. Also haben sie Druck auf die Parteispitze gemacht. Mit anderen Worten: der Prager Frühling ist nicht einfach so vom Himmel gefallen, der ist über längere Zeit vorbereitet worden – ich würde sagen, so seit dem Jahr 1963." Vaclav Maly, katholischer Weihbischof in Prag, zur Zeit des Prager Frühlings 17 Jahre alt.

Wir konnten endlich frei Zeitung lesen – und offen mit allen Leuten sprechen.

"Ich war 14 im Prager Frühling. Und wir waren so begeistert. Wir konnten endlich frei Zeitung lesen – und offen sprechen mit allen Leuten: in der Schule, in der Kirche. Es gab auch viele Veranstaltungen. Zum Beispiel: so etwas wie Kirchentage waren in der kommunistischen Zeit verboten. Aber 1968 hat man dann in einer kleinen Stadt gleich einen Kirchentag für Jugendliche organisiert. Da waren tausende Leute, die Stadt war überfüllt. Und bis heute erinnern sich die Leute daran, wie schön das damals war." Daniel Zenaty, Theologe, Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder.

Ich bekam ein Ausreiseverbot aus der Tschechoslowakei

"Ich war an Jan Palachs Todestag in Moskau. Ich sollte bei einem Kongress einen Vortrag halten. Und diesen Vortrag habe ich mit einer Schweigeminute begonnen. Daraufhin ist die sowjetische Polizei gekommen. Und ich bekam in der Folge ein Ausreiseverbot aus der Tschechoslowakei." Jan Sokol, Philosoph und ehemaliger Politiker.

Uns allen war klar, die Truppen waren gekommen um die Freiheit zu beenden.

"Nach dem Prager Frühling war es für mich ein Schock. Ich hatte den Leuten ja geglaubt. Aber die, die damals so begeistert gewesen waren, haben nach der sogenannten Normalisation entweder geschwiegen oder sie waren deprimiert. Es war ja verboten, über die Dinge zu sprechen. Uns allen war klar, dass die Truppen im August 1968 gekommen waren, um die Freiheit zu beenden. Und dann, wenig später, haben sie uns in der Schule gesagt, das war eine brüderliche Hilfe". Daniel Zenaty

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