Russische Soldaten in Prag, 1968

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Der Prager Frühling 1968 und sein Ende

Im Sommer 1968 marschierte die Sowjetunion gemeinsam mit den kommunistischen Satellitenstaaten Ungarn, Polen und Bulgarien und mit mehr als einer halben Million Soldaten in der Tschechoslowakei ein, und beendete gewaltsam etwas, das als rotes Experiment begonnen hatte und als "Prager Frühling" bezeichnet wird. 98 Tschechen und Slowaken und 50 Interventionssoldaten kamen dabei ums Leben. Alleine ins Nachbarland Österreich flüchteten danach 162.000 Menschen.

Der Versuch

Mitten durch Europa verläuft damals der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West. Der rote Diktator Josef Stalin ist zwar seit 15 Jahren tot, doch obwohl in der Sowjetunion selbst schon eine Entstalinisierung begonnen hat, herrschen in vielen ihrer Satellitenstaaten noch immer realsozialistische Regime im Geiste Stalins mit Konzentrationslagern, Schauprozessen und vollkommener Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. So auch in der sogenannten "Tschechoslowakischen Volksrepublik" , oder auch "Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik" (ČSSR).

Im Frühjahr 1968 versuchen Reformkräfte, das kommunistische System zu demokratisieren - unter großem Zuspruch in der Bevölkerung! Denn die Mehrheit der Menschen in der ČSSR dürfte laut damaliger Erhebungen für die Beibehaltung des Sozialismus im Land sein, aber nicht in der herrschenden stalinistischen Variante. Nicht mehr, denn 1946 haben in freien Wahlen die moskautreuen Kommunisten unter dem Stalinisten Klement Gottwald eine relative Mehrheit von 31 Prozent eingefahren. Die Tschechoslowakei ist das einzige Land Europas, das diese linksradikale, totalitäre Ideologie mehrheitlich selbst wählte, was 1948 den Staatsstreich der Kommunisten ermöglichte.

Mittlerweile, 1967, suchen auch die Sowjets einen fähigen Politiker, der die CSSR reformieren soll. Und Parteichef Leonid Breschnew, Führer der Sowjetunion, glaubt, diesen Mann in Alexander Dubcek gefunden zu haben. Der Slowake Dubcek, Generalsekretär der KPČ und alsbald Führungsfigur der Reformbewegung, leitet im Jänner 1968 eine Liberalisierung ein. Er lockert die Pressezensur, und hebt sie noch im Frühling schließlich gänzlich auf. Ein Aktionsprogramm der KPČ verheißt Reformen in der Wirtschaft.
Bald kommt für Dubcek und seine Regierung die Bezeichnung "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" auf. Am 27. Juni unterzeichnen führende Intellektuelle ein "Manifest der 2000 Worte", das die Irrtümer des Sozialismus scharf kritisiert.

Die Macht ist der Dubcek-Regierung offensichtlich entglitten. Die Sowjetführung unter Breschnew stuft in ihrer marxistischen Logik das ganze Geschehen als "konterrevolutionär" ein.

Das Telefonat

Breschnew zitiert Alexander Dubcek Ende Juli in den slowakischen Ort Cerna nad Tisou. Nach außen hin einigen sich die beiden Parteichefs darauf, dass wesentliche Punkte des Aktionsprogramms zurückgenommen werden, dass vor allem der Alleinherschaftsanspruch der KPČ bestehen bleibt, Dubcek keine politische Mitwirkung von Nichtkommunisten mehr erlaubt, und die tschechischen Medien aufhören, die Sowjetunion offen zu kritisieren. Ähnliches wird auch Anfang August bei einem Treffen mit anderen Warschauer-Pakt-Staaten in Bratislava vereinbart. Umgesetzt wird davon allerdings nichts, das Tauwetter geht weiter.

Am 13. 1968 August ruft ein besorgter Breschnew den entnervten Dubcek an. Die Invasion ist längst beschlossene Sache. Trotzdem mäkelt Breschnew noch an Details herum, wie an der Kritik der unkonventionellen tschechischen Kommunisten Frantisek Kriegel oder Cestmir Cisar an der Sowjetunion.

Westliche Geheimdienste schneiden das Telefonat mit - hier ein Ausschnitt in deutscher Übersetzung - nachgesprochen von Raphael Sas und Bernd Matschedolnig.

Eine Woche später, in der Nacht vom 20. auf den 21. August, marschieren die Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein und setzen dem "Prager Frühling" ein gewaltsames Ende.