PAUL WIMMER
Clara Stern, Regie
Clara Stern, geboren 1987 in Wien, studiert Drehbuch und Regie an der Filmakademie Wien bei Götz Spielmann und Wolfgang Murnberger. Ihre Arbeiten sind erfolgreich auf zahlreichen Festivals eingeladen. Zuletzt hat ihr Bachelorfilm "Mathias" neben vielen Festivalerfolgen auch den Österreichischen Filmpreis in der Kategorie Kurzfilm gewonnen.
3. Oktober 2019, 12:00
Geboren: 1987 in Wien
Aktuelles Studium: Masterstudium Buch und Dramaturgie bei Götz Spielmann und Masterstudium Regie bei Wolfgang Murnberger, Filmakademie Wien, Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien
Mein größter Erfolg: Mein Film "Mathias" ist für mich mein größter Erfolg, weil die Ideen, Vorhaben und Visionen, die ich für diesen Film hatte, aufgegangen sind und ich mir den Film anschaue und stolz auf unsere Arbeit bin. Und dass "Mathias" mit dem Österreichischen Filmpreis für den Besten Kurzfilm 2018 ausgezeichnet wurde, war das Tüpfelchen auf dem i.
Was ist Kunst?
Manchmal frage ich mich, was passieren würde, wenn es auf diese Frage eine eindeutige Antwort gäbe. Wenn einmal jemand auf diese Frage eine Antwort gibt, die "richtig" ist. Die allgemein gültig ist und die nicht hinterfragt werden darf oder kann. Ob das nicht das Ende der Kunst wäre. Oder der Beginn eines totalitären Weltbildes. Für mich bedeutet Kunst, Emotionen in ein Medium zu übersetzen, den Emotionen einen (rationalen?) Rahmen zu geben, sie zugänglich zu machen für andere. Kunst ist eine Art Übersetzung des Künstlers / der Künstlerin, aber diese Übersetzung muss auch wieder von der betrachtenden Person übersetzt werden. Und wichtig ist dabei, dass nie klar ist, welcher Übersetzer / welche Übersetzerin Recht hat. Aber dass jede/r seinen eigenen Eindruck, seine eigenen Gefühle mitnimmt.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Es war in unserer Familie immer wichtig, etwas Kreatives zu machen. Nicht das Ausmalbuch brav auszufüllen, sondern ein weißes Blatt Papier zu nehmen und es ohne Vorgabe selbst zu bemalen oder etwas daraus zu basteln. Ich habe drei Geschwister, wir alle vier haben einen großen Drang zu gestalten, drei von uns haben es zu ihrem Beruf gemacht. Ich habe nur lange nach dem richtigen Medium für mich gesucht und es schließlich gefunden: Film. Ich fühle mich wohl zwischen zwei Stühlen: dem Schreiben und dem Regieführen. Auch weil gerade das Regieführen eine Vielzahl von unterschiedlichsten kreativen Entscheidungen verlangt.
Kommt Kunst von können, müssen oder wollen?
Für mich persönlich kommt Kunst aus einem müssen, aus einem Drang etwas zu tun. Meine größte Angst ist es, mich zu langweilen. Ich muss ständig beschäftigt sein und meistens muss ich dabei etwas Kreatives hervorbringen, etwas - für mich - Neues. Das Ergebnis ist nicht immer Kunst natürlich, aber ohne ausprobieren und begreifen, was man nicht will oder was nicht funktioniert, würde es keine Kunst geben. Kunst machen hat viel mit scheitern zu tun. Und trotzdem weitermachen wollen und müssen. Trotzdem braucht es noch das Können, nämlich das Talent.
Wo würden Sie am liebsten Ihre Filme zeigen?
Ich glaube beim Film gibt es eine Liste aus gewissen A-Festivals, bei denen man sich sehnlichst wünscht, einmal den Film zu zeigen: Cannes, Toronto, Venedig, Berlin, Locarno, etc. Aber eines davon zu nennen, da hätt’ ich jetzt Angst, etwas zu verhexen. Ich denke, das bringt Unglück. Und es darf auch nicht das Ziel oder der Grund sein, warum man einen Film macht. In erster Linie ist es mir wichtig, eine Geschichte zu erzählen. Wo diese Geschichte dann gezeigt wird, liegt ja nicht mehr direkt in meiner Hand.
Mit wem würden Sie gerne zusammenarbeiten?
Es gibt gewisse (internationale) Schauspieler und Schauspielerinnen, die ich in den letzten zehn Jahren beobachtet habe und für ihr Talent bewundere. Zum Beispiel Andrew Garfield, Carey Mulligan, Elizabeth Olsen, Alicia Vikander... Mit ihnen würde ich gerne einmal drehen, wenn die Rolle und der Film dazu geeignet wären.
Wie viel Markt verträgt die Kunst?
Im Filmbereich besteht der Markt aus verschiedenen Mechanismen: aus Verleihern, aus Festivals, aus Kinos. Film ist eine Kunstform, die gesehen werden muss, die aus der Vergänglichkeit des Augenblicks besteht, die aus der Aneinanderreihung von Augenblicken entsteht. Ohne Markt kommen Filme nicht zu einem Publikum und oft wird schon beim Schreiben eines Drehbuchs nach dem Publikum oder dem Markt gefragt: Wird das ein Festivalfilm oder ein Publikumsfilm oder im Idealfall beides? Also orientiert man sich beim Machen des Films, also der Kunst, schon am Markt, hat einen Markt vor Augen. Gleichzeitig, denke ich, muss man während des Schreibens und des Drehs den Markt aber wieder aus den Augen verlieren. Die Markt-Gedanken sind eher für die Feedback-Phasen nützlich.
Und wie viel Kunst verträgt der Markt?
Der Markt soll sich nicht so haben, der Markt sollte sich immer bewusst sein, dass er ohne die Kunst gar nicht existieren würde. Wenn ein Film „zu künstlerisch“ für den klassischen Filmmarkt ist, dann wird sich (hoffentlich) ein anderer Markt für diesen Film finden. Das ist das Schöne am Film, dass das audiovisuelle Medium eine Vielzahl an unterschiedlichsten Ausdrucksformen beherbergen und hervorbringen kann. Mit verschiedenen Nischen und Märkten. Für die Künstlerin / den Künstler bleibt aber natürlich immer die Frage, ob er/sie von der Kunst leben kann. Und da hat der Markt leider sehr viel Macht.
Wofür würden Sie Ihr letztes Geld ausgeben?
Ich wünschte, ich hätte jetzt eine romantische Antwort, aber weil die finanzielle Unsicherheit Teil meines Lebens ist, würde ich spontan und rational mit "für etwas zu essen" antworten. Wäre es das symbolisch letzte Geld, dann wahrscheinlich für Musik und Bücher und zwar in dieser Reihenfolge.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Hoffentlich in einer Welt, in der die unmenschlichen politischen Tendenzen, die jetzt ihre Tentakel ausstrecken, nicht mehr so viel Macht haben, wie sie momentan besitzen. In einer Welt, in der Mitgefühl wieder eine erstrebenswerte Emotion ist. Auch weil Filme über Mitgefühl funktionieren, über das Mitfühlen der Emotionen, die die Figuren auf der Leinwand haben. Ich hoffe, in zehn Jahren Filme machen zu können. Ohne Zensur, ohne politischen Einfluss.
Haben Sie einen Plan B?
Ich arbeite schon seit Jahren nebenbei als Moderatorin. Für Filmgespräche und Live-Events, vor allem auch im Jugendbereich. Überhaupt macht mir das Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen viel Spaß. Das könnte also ein Plan B sein, beziehungsweise ist es finanziell immer besser, breit aufgestellt zu sein.
Wann und wo sind Sie das letzte Mal unangenehm aufgefallen?
Ich glaube unangenehm ist eine Frage der Perspektive: Unangenehm für wen? Ich kann schlecht meinen Mund halten, wenn mich etwas stört oder wenn ich glaube, etwas ist falsch. Das ist dann eher anderen unangenehm, nicht mir. Ich hoffe, unangenehm – auch mit meinem Filmen – für diejenigen zu sein, die die Scheuklappen aufhaben und gewisse Ungerechtigkeiten ignorieren wollen. Ich hoffe, unangenehm zu sein, für diejenigen, die soziale Ausgrenzung forcieren, die mit Gleichberechtigung nichts anfangen können, die Menschenrechte mit Füßen treten.
Rein physisch bin ich diesen Juni unangenehm aufgefallen, als ich beim Treffen der Österreichischen Akademie des Films einem Kellner ausweichen wollte und Erni Mangold dadurch angeschubst habe. Sie hat mich daraufhin recht unsanft von sich weggestoßen. Das Ganze war in den Seitenblicken zu sehen. Erni Mangold und ich haben uns nachher aber noch versöhnt.
Wollen Sie die Welt verändern?
Ehrlich? Ja. Momentan muss man das Bedürfnis haben, die Welt zu verändern, weil sie in einem Zustand ist, in dem ich nicht glücklich bin, in ihr zu leben. Das betrifft soziale Bereiche, Menschenrechte, Umweltfragen.
Ob ich mit meinen Filmen die Welt verändern kann? Ich hoffe. Ich hoffe, mit meinen Filmen Perspektiven zu zeigen, die gerne übersehen werden. Zum Beispiel mit meinem Film "Wartezeit", in dem es um eine junge Frau geht, die nachts bei der Bushaltestelle belästigt wird. Die Reaktionen in Publikumsgesprächen haben mir gezeigt, dass vor allem Männer diese Perspektive der Angst und Panik so nicht kannten. Oder in "MATHIAS", wo es um jemanden geht, der transgender ist, der Angst hat, so wie er sein möchte, nicht akzeptiert zu werden. Vielleicht (oder hoffentlich) hat sich für manche im Publikum etwas in der Wahrnehmung ihrer Umgebung, ihrer Mitmenschen geändert. Ihnen Mitgefühl gegeben. Für die Situation anderer.