VIENNALE
"Religion des Menschlichen"
"Lazzaro felice" eröffnet Viennale
Die Auferweckung des Lazarus ist in der Bibel eine der bekanntesten Episoden und im übertragenen Sinne auch eines der zentralen Motive im Film "Glücklich wie Lazarus" der italienischen Regisseurin Alice Rohrwacher, mit dem heute Abend das Filmfestival Viennale im Wiener Gartenbaukino eröffnet wird.
31. Jänner 2019, 11:42
Morgenjournal | 25 10 2018
Arnold Schnötzinger
Die Brücke nach Inviolata ist zerstört, nur mehr Fragmente sind übrig. Schon lange ist das Landgut irgendwo in einer kargen Hügellandschaft Mittelitaliens von der Außenwelt abgeschnitten - existieren dort auch in den 1990er Jahren immer noch eine Agrargesellschaft wie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Machtverhältnisse wie aus Zeiten der Leibeigenschaft.
"Religion des Menschlichen"
Mittendrin in der bäuerlichen Gemeinschaft lebt Lazzaro, die Selbstlosigkeit in Person, eine gute Seele, vordergründig naiv und sich für keine Arbeit zu schade, und dennoch ist er der einzig Glückliche. Mit der Figur des Lazarus verweist Regisseurin Alice Rohrwacher sowohl auf die Wiederauferstehungslegende im Johannesevangelium, als auch auf das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus im Lukasevangelium. Trotzdem lehnt Rohrwacher eine religiöse Interpretation ihres Films ab, wenn, so Rohrwacher, dann huldige sie der "Religion des Menschlichen".
Kulturjournal | 30 10 2018 | Regisseurin Rohrwacher im Interview
Arnold Schnötzinger
Kleinkrimineller Existenzkampf
"Glücklich wie Lazzaro" ist die Geschichte einer gnadenlosen Ausbeutung und zweifelhaften Befreiung, denn nach einem Erzählbruch und Zeitsprung in die Gegenwart vegetieren die einstigen Landarbeiter in der Großstadtgosse. Die früher urbane Utopie, der Sehnsuchtsort für ein besseres Leben, wird zur puren Enttäuschung. Was bleibt ist ein kleinkriminell geführter Existenzkampf.
Politik und Poesie
Wie mit einem Zauberstab verdichtet der Film gezielt Gegensätze in Erzählung und Ausstattung zu magischen Kinomomenten. Politik und Poesie, Tristesse in der Lebenswirklichkeit und zugleich die Unbeschwertheit eines Märchens, symbolisch aufgeladen - etwa wenn bei der Heuernte Strohpartikel wie Schneeflocken herumwirbeln. Und schroffe Landschaften offenbaren gerade im Flair des Archaischen ihre Schönheit, so wie in Filmen von Ermanno Olmi, Pier Paolo Pasolini oder den Brüder Taviani.
Tragische Leichtigkeit des Seins
Lazzaro überlebt die Zeitenwende des Films als einziger unverändert und unbeschadet, er altert auch nicht. So wird die Aura seiner Unschuld zum ewigen Wert eines tiefgehenden Humanismus, zum Glauben - trotz miserabler Umstände - an das Gute im Menschen. In aller Schwere des Films "Glücklich wie Lazzaro" liegt in dieser Figur auch eine tragische Leichtigkeit des Seins.
Service
Viennale - 25. Oktober bis 8. November 2018
Gestaltung
- Arnold Schnötzinger