Irene-Harand-Platz

ORF/MARKUS VEINFURTER

Irene Harand im Kampf "gegen das Hakenkreuz"

Die Widerstandskämpferin Irene Harand hat den Kampf "gegen das Hakenkreuz" früher als viele andere aufgenommen. In ihrer Heimat Österreich geriet sie rasch in Vergessenheit. Eine "Heilige" der katholischen Kirche ist sie bis heute nicht, aber von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wurde sie noch zu Lebzeiten als "Gerechte unter den Völkern" geehrt.

Irene Harand wird zur Widerstandskämpferin, als dieser Begriff im Grunde noch gar keinen Sinn ergibt. 1930-drei Jahre vor der "Machtergreifung" Adolf Hitlers in Berlin und acht Jahre vor dem "Anschluss" Österreichs an sein "Drittes Reich"-gründet sie in Wien gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Moriz Zalmann die "Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot".

1930 hatte die NSDAP hatte bei der Reichstagswahl in Deutschland stark zugelegt-von nicht einmal drei auf mehr als achtzehn Prozent. 107 Mandate für die NSDAP-das nimmt Irene Harand als persönliche Kampfansage: Harand gegen Hitler - und sie ist überzeugt, diesen Kampf gewinnen zu können.

Versammlungsplakat von 1932

ÖNB

1932

14.000 Stimmen für die erste "Österreichische Volkspartei"

Irene Harand gründet auch eine Partei-die erste "Österreichische Volkspartei" (nicht zu verwechseln mit der Nachfolgerin der christlich-sozialen Partei nach 1945). Bei der Nationalratswahl 1930 erringt sie immerhin 14.000 Stimmen, die NSDAP hingegen deutlich mehr als 100.000. In ihrem "Kampf gegen das Hakenkreuz" (wie sie es immer formuliert) lässt sich Irene Harand dadurch nicht irritieren. Sie reist durch ganz Europa und hält Vorträge. Ihre Bewegung unterhält Suppenküchen in ganz Wien und unterstützt Menschen auf der Flucht aus dem nunmehrigen "Dritten Reich". 1935 verfasst sie ihr Hauptwerk: "Sein Kampf-Antwort an Hitler". Mit Sachargumenten versucht sie dem Antisemitismus die Grundlage zu entziehen.

"Sein Kampf-Antwort an Hitler"

"Der Antisemitismus bedeutet für das Hakenkreuz nichts anderes als ein Mittel zur Befestigung der hauptsächlich durch die Entfachung der Hassinstinkte gegen die Juden nun einmal erlangten Macht", schreibt Irene Harand 1935 im Vorwort zu "Sein Kampf": "Wir haben während der zwei Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen, dass das Hakenkreuz auch vor dem Massenmord nicht zurückschreckt. Wenn es gilt, die errungenen Positionen zu halten. Ich glaube daher, dass es im Interesse der Wahrheit liegt, auf die Hakenkreuzbibel, auf Hitlers "Mein Kampf", öffentlich Antwort zu geben und vor der ganzen Kulturwelt zu prüfen, ob die Hauptlehrsätze dieses Buches, die zur Begründung der Politik des Hakenkreuzes angeführt werden, der Kritik standhalten."

Idealismus und Opfermut

Als gläubige Katholikin redet sie auch den eigenen Leuten ins Gewissen: "Und wissen wir denn ganz bestimmt, wie unser Heiland Jesus Christus ausgesehen hat? Soferne er sich uns als Mensch zeigte, war er bestimmt kein "Arier". Er war Semite, ebenso wie Moses." Und sie stellt die Begrifflichkeit bereits grundsätzlich in Frage: "Es ist heute wissenschaftlich fast mit Sicherheit erwiesen, dass es ethnologisch keine Arier gibt."

Sie schließt ihre detaillierte Abhandlung mit den Worten: "Das Hakenkreuz bedeutet eine große Gefahr für die Menschheit. Das Hakenkreuz ist die größte Gefahr des Jahrhunderts. Wenn wir ihr begegnen wollen, müssen wir gerade die Waffen anwenden, die dem Hakenkreuz fremd sind: Idealismus und Opfermut, Vernunft und Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit."

Tochter aus der gehobenen Mittelschicht

Irene Harand wurde am 7. September 1900 in Wien geboren. Die evangelische Mutter Sophie Markely stammte aus einer siebenbürger-sächsischen Familie-der katholische Vater Franz Wedl, ein Südmährer aus Nikolsburg, war Militärkommandant in Hermannstadt. In Wien besitzt er einen "mittleren Betrieb" - wie es in einer "biografischen Notiz" im Buch von Christian Klösch, Kurt Scharr und Erika Weinzierl über Irene Harand heißt.

Sie wird katholisch erzogen-und als Tochter aus der gehobenen Mittelschicht besucht sie nach der Pflichtschule noch eine zweijährige, weiterbildende Schule, wo sie Französisch, feine Umgangsformen und alle Fähigkeiten zur Führung eines gut bürgerlichen Haushaltes erlernt. Ihren "Zukünftigen" Frank Harand lernt sie im Tanzkurs kennen. Sie heiratet ihn mit 19 Jahren nach seiner Rückkehr von der Ostfront - und firmiert fortan (auch bei ihren politischen Aktivitäten) als "Hauptmannsgattin". Seine Einkommen als Manager in der Lebensmittelindustrie sichert ihr die sprichwörtlich "sorgenfreie Existenz". Die Ehe bleibt aber - sehr zum Bedauern beider - kinderlos.

Denkmal für Irene Harand

ORF/MARKUS VEINFURTER

Denkmal für Irene Harand

Weinzierl: "Enormes Gerechtigkeitsgefühl"

"Sie hatte wirklich ein enormes Gerechtigkeitsgefühl", betonte die Historikerin Erika Weinzierl in einem ORF-Interview im Jahr 2002. "Und sie war zutiefst davon durchdrungen, dass alle Menschen die gleichen Recht und die gleiche Würde haben." Erika Weinzierl, die 2014 verstorben ist, hat sich als eine der ersten für die "Wieder-Entdeckung" von Irene Harand engagiert: "Sie ist eine der wenigen, wirklichen Gerechten, die wir in Österreich gehabt haben."

Eine "Gerechte unter den Völkern"

Nach dem "Anschluss" 1938 findet sich ihr Name auf der Liste der "meist gesuchten Männer". Bei der Durchsuchung des Büros der "Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot" gilt der Befehl: "Auf Sicht erschießen". Irene Harand überlebt wahrscheinlich nur, weil sie zufällig gerade im Ausland weilt. Ihrem Ehemann Frank gelingt über Prag und London die Flucht. Den Rest ihres Lebens verbringen die Harands im Exil in New York. Ihr wichtigster Mitstreiter Moriz Zalmann, nach dem "Anschluss" als Jude bereits grundsätzlich in Gefahr, wird hingegen verhaftet und stirbt nach zwei Jahren Haft im KZ - was sich Irene Harand bis zu ihrem Tod nicht verzeihen konnte.

1967 wird Irene Harand von der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" geehrt und in der Folge wird sie auch in ihrer Heimat "wiederentdeckt". Nach ihrem Tod 1975 widmet ihr die Stadt Wien eine Grabstelle im Urnenhain des Zentralfriedhofes in Simmering.

Eine "Bekennerin des Glaubens"

"Sie ist eindeutig eine Bekennerin", sagt Kardinal Christoph Schönborn: "Sie war eine Bekennerin des Glaubens, denn ihre Grundhaltung hatte sie eindeutig aus dem Glauben." Sein Vorgänger als Erzbischof von Wien, Kardinal Theodor Innitzer, hatte auf die Zusendung von "Sein Kampf" mit einer sehr lobenden Postkarte reagiert-allerdings darum gebeten, seine Worte nicht öffentlich zu verwenden. Vielleicht als kleine "Wiedergutmachung" hat sein Nachfolger Schönborn zur der ersten Neuauflage nach dem Krieg im Jahr 2005 ein Vorwort verfasst.

Irene Harand - eine "Heilige der Kirche"?

"Ich bezeichne sie oft so-ohne dass ein formaler Grund dafür da wäre." Peter Marboe, später Kulturstadtrat in Wien, hat Irene Harand während seiner Tätigkeit in New York zu Beginn der siebziger Jahre nach persönlich kennengelernt. "Wenn die nicht heilig war, wenn die nicht ein Wunder war-dann weiß ich nicht, wie man Lichtgestalten benennen soll." Er wäre auch grundsätzlich bereit, ein entsprechendes kirchliches Verfahren zu unterstützen-aber: "Sie hätte keinen Wert darauf gelegt. Und das ist auch gar nicht notwendig. Es reicht zu wissen, was für ein wunderbarer Mensch sie war."

"Sie passt in keine Schublade"

Doch trotz allem hat Irene Harand noch immer keinen fixen Platz in der kollektiven Erinnerung gefunden. "Alle zehn Jahre ist es eine Art Wiederentdeckung-auch in der Geschichtswissenschaft", sagt der Historiker und Harand Biograf Christian Klösch. Sie entziehe sich den politischen Erinnerungstraditionen. Den einen ist sie zu katholisch-und hat zu wenig Distanz zum "Ständestaat" gewahrt. Für die eine andere Seite, so Christian Klösch, habe sie zu deutlich auch den katholischen Antisemitismus in der christlich-sozialen Partei angeprangert: "Sie passt als Person einfach in keine Schublade."

Ein Fest für alle Heiligen-auch für Irene Harand

Die Reihe "Memo-Ideen, Mythen, Feste" widmet sich zu "Allerheiligen" der Widerstandskämpferin Irene Harand, weil dieser Tag nach christlichem Verständnis tatsächlich allen Heiligen gewidmet ist-den großen und kleinen, den bekannten und den unbekannten, denen, die offiziell heiliggesprochen worden sind-oder (wie Irene Harand) eben nicht.

Service

Christian Klösch, Kurt Scharr & Erika Weinzierl, "Gegen Rassenhass und Menschennot", Irene Harand - Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin, StudienVerlag (Innsbruck, Wien, München, Bozen 2004)

Franz Richard Reiter (Hg.), "Sein Kampf" Antwort an Hitler von Irene Harand, Ephelant Verlag (Wien, 2005)

Gestaltung

  • Markus Veinfurter