Hilary Mantel hält Buch in der Hand

APA/HELMUT FOHRINGER

Eine Stadt. Ein Buch

Hilary Mantel - das Risiko Charakter zu zeigen

Hilary Mantel gilt als Meisterin des historischen Romans und wurde von der Queen für ihre herausragenden Leistungen geadelt. Wenn die britische Erfolgsautorin Hilary Mantel den Blick in die Vergangenheit wirft, schaut sie mit ihren Figuren in die Zukunft.

Gleich zweimal erhielt Hilary Mantel den renommierten Man Booker Preis. Auf Einladung der Stadt Wien ist Hilary Mantel jetzt nach Wien gekommen. 100.000 Gratisexemplare ihres Debütromans "Jeder Tag ist Muttertag" werden im Rahmen der Gratisbuchaktion "Eine Stadt. Ein Buch" in Wien verteilt.

Die britische Erfolgsautorin Hilary Mantel scheut sich nicht davor, anzuecken. 2013 bezeichnete Mantel die damals schwangere Herzogin Catherine als Prinzessin "mit perfektem Plastiklächeln, unglaublich dünn, ohne Eigenart und ohne Risiko, Charakter zu zeigen."

Eine spitze Bemerkung, die Premierminister David Cameron höchstpersönlich dazu veranlasste, die Ehre der beleidigten Herzogin in einem öffentlichen Statement zu verteidigen. 2014 legte Hilary Mantel eins drauf und schockierte die Briten mit einem mörderischen Gedankenexperiment. "Die Ermordung der Margaret Thatcher" lautete der Titel des Erzählbandes den Mantel vorlegte.

Dem britischen "Guardian" erzählte die Autorin ganz ungerührt, wie sie einst Margaret Thatcher von ihrer Wohnung aus gesehen habe. Und: Wäre sie eine andere gewesen, so Mantel, Margaret Thatcher hätte dieses Zusammentreffen wohl nicht übererlebt. Der Skandal war perfekt. Politiker aller Couleur kommentierten die vermeintliche Entgleisung der Autorin.

Wenn Hilary Mantel den Blick in die Vergangenheit wirft, schaut sie mit ihren Figuren in die Zukunft

"Es war eine Provokation“, gibt Mantel zu, " Aber ich dachte, die Leute würden darüber lachen, weil sie wussten, dass Margaret Thatcher keinem Attentat zum Opfer gefallen ist. Als mein Erzählband erschienen ist, war Margret Thatcher längst tot. Ich war auf die Dimension dieser Auseinandersetzung nicht vorbereitet. Manche Mitglieder der Torys haben tatsächlich gefordert, dass die Justiz eingeschaltet werden soll. Man sprach davon, dass dieses imaginierte Attentat eine Straftat sein könnte. Das ist natürlich Unsinn!"

Hilary Mantel

ORF/CHRISTINE SCHEUCHER

Hilary Mantel

Weniger provokant trat Hilary Mantel gestern im Wiener Rathaus auf. Im Rahmen der Aktion "Eine Stadt. Ein Buch." weilte die Autorin in Wien. 100.000 Gratisexemplare ihres Debütromans "Jeder Tag ist Muttertag" werden seit gestern verteilt. Mantel erzählt in ihrem 1985 erschienen Debüt die Geschichte einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung. Muriel und Evelyne leben in einer englischen Kleinstadt in völliger sozialer Isolation. Die Tochter wirkt etwas zurückgeblieben, die Mutter sieht Geister und will ihre Tochter nicht in die Schule schicken. Die Hilfe einer Sozialarbeiterin lehnt sie konsequent ab.

Mantel selbst arbeitete in den 1970er Jahren als Sozialarbeiterin. Für die Autorin wohl der Anstoß, sich mit den Schwachen und Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen: "Ich habe in dem Roman die Erfahrungen verarbeitet, die ich in den frühen 1970er Jahren als Sozialarbeiterin gemacht habe. Damals habe ich bemerkt, wie schnell Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden können."

Die Großmeisterin des historischen Romans

Eigentlich gilt Hilary Mantel als Großmeisterin des historischen Romans. Ihre beiden Romane über Thomas Cromwell, rechte Hand von Tudor-König Heinrich VIII, wurden mit dem Booker Preis ausgezeichnet. Mantel schafft historische Porträts, die nicht Gefahr laufen ins Fach des schmalzigen Kostümschinkens abzudriften. Der Historiker, so Mantel, erzähle was passiert sei. Die Schriftstellerin erzähle, warum etwas passiere, sie schaue nicht in die Vergangenheit, sondern mit ihrer Figur in die Zukunft.

Brexit: "Wir sind immer noch geschockt!“

Was die Zukunft ihres Heimatlandes betrifft, ist Hilary Mantel mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen besorgt. Aktuell zeichnet sich in der Nordirland-Frage zwar ein Kompromiss zwischen Großbritannien und der Europäischen Union ab. Mantel, deren Familie aus Irland stammt, ist dennoch besorgt. Eine erneute Grenzziehung zwischen Irland und Nordirland würde alte Wunden aufreißen, betont sie: "Ich bin alt genug, um mich an das Referendum über den EU-Beitritt zu erinnern. Damals war ich überrascht, dass die Briten dafür gestimmt haben. Die europäische Integration war die Hoffnung meiner Generation. Sie ebnete Wege in eine völlig neue Zukunft. Manche von uns stehen jetzt immer noch unter Schock. Die Brexit-Kampagne war beschämend und man schreckte nicht davor zurück, dieselben Lügen unentwegt zu wiederholen.“

Gestaltung

Übersicht