Leuchtende Glasmurmeln

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Ausgewählt

Vier Töne für ein "Halleluja"

Die unendliche Vielfalt der Musik in einer dreiteiligen "Ausgewählt"-Serie.

Übereinstimmungen von musikalischen Motiven verschiedener Komponist/innen sind stets interessant, namentlich in unserer Zeit des investigativen Journalismus. Hat hier Wagner von Beethoven abgeschrieben, oder dort Mozart von Händel?

Und wenn nicht, so stellen sich die Fragen: Wie kommen solche Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten zustande? Bieten die zwölf Halbtöne unseres Tonsystems zu wenige Möglichkeiten?

Angeregt durch Bernstein

Keineswegs. Kunstschaffende beweisen ihre Qualität in erster Linie dadurch, was sie aus dem Material herausholen, sei dieses auch noch so klein. Angeregt durch einen Aufsatz von Leonard Bernstein habe ich vor 40 Jahren zu sammeln begonnen, was man mit bloß vier Tönen alles machen kann. Oder, präziser: wie viele Hunderte großartige Musikstücke mit denselben vier Tönen beginnen.

Welche vier Töne? Das sind (bezogen auf F-Dur) C, F, G und A, in aufsteigender Richtung. Natürlich in jede beliebige Tonart transponierbar. Wie kann man das variieren? Nun, man nimmt etwa diesen Ton der vier kürzer, jenen länger, oder umgekehrt, oder ganz anders. Man legt die Betonung auf den ersten, zweiten, dritten oder vierten Ton. Man variiert durch Wiederholungen eines Tones oder mehrerer Töne. Weiters kann man diese vier Töne, die einer Dur-Skala entnommen sind, auch in der Moll-Skala abwandeln. Außerdem lassen sich Permutationen bilden, indem man die Reihenfolge der Töne ändert - das sind bei vier Tönen immerhin schon 24 Möglichkeiten - und dann lässt sich auch die Oktavlage des einen oder anderen Tones ändern.

Spannung in der Grundform

Besonders spannend ist es schon in der genannten Grundform der Viertonreihe, wenn etwa Bach in seiner "Hohen Messe" dasselbe Motiv verwendet wie Lehár (mehrfach!) in der "Lustigen Witwe", Tschaikowsky in "Eugen Onegin" und Mozart in der "Kleinen Nachtmusik". Richard Strauss baut eine ganze Symphonische Dichtung darauf auf, bei Weber singen es die Jäger, und Brahms kann gar nicht genug davon bekommen. Und auch das Volk singt es: "Ein Männlein steht im Walde hoch auf dem gelben Wagen, Prinz Eugen kann es unterm Tannenbaum, wenn alle Brünnlein fließen."

Diese Anordnung der Viertonreihe reicht auch für ein "Halleluja" des Wolfgang Amadé. Um sie geht es im ersten Teil der dreiteiligen "Ausgewählt"-Serie über die klingende Welt von vier Tönen, und dieser heißt folgerichtig "Vier Töne für ein Halleluja" (Sendung am 17. Jänner um 10.05 Uhr). Am 14. Februar dann die mollige Fortsetzung, betitelt "'Shalom chaverim' und die 'Walküre'". Von dem hebräischen Friedensgesang bis zu Brünnhildes Todesverkündigung, vom "Shadow of Your Smile" über "Solvejgs Lied" aus Griegs "Peer Gynt" bis zum Trinklied des Jago aus Verdis "Otello".

Eine Neugier stiftende Wanderung

Den dritten und letzten Teil dieser kleinen Serie können Sie am 14. März hören, er steht nach dem wohl bekanntesten Glockengeläut der Welt unter der Devise "Westminster-Variationen". Da dieses Geläut aus Permutationen unserer vier Töne besteht, regt es an, die Ohren zu spitzen und ähnlichen Motiven auf die Spur zu kommen, da kennt die Vielfalt der Möglichkeiten keine Grenzen mehr. Wagner ließ Lohengrin, Siegmund und Siegfried prominente Varianten finden, Beethoven verwendete solche in frühen Liedern wie in seiner letzten Klaviersonate, Mozart und Mussorgsky, Richard Strauss, Johann Strauß und noch viele andere gewannen den Möglichkeiten der vier Töne gefinkelte Varianten ab.

"Die unendliche Vielfalt der Musik" - so nannte Leonard Bernstein eines seiner Bücher, und sein Leben war die Beweisführung für diese Grenzenlosigkeit. Unsere "Ausgewählt"-Serie soll eine Neugier stiftende Wanderung in dieser Vielfalt sein.

Dieser Artikel enstammt der aktuellen Ausgabe des Ö1 Magazins "gehört".

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