Madeleine Slade auf einem Boot mit Gandhi

AP/JAMES A. MILLS

Radiokolleg

Mahatma Gandhis Weggefährtin Mirabehn

Im September 1931 gingen die Bilder von Mahatma Gandhis Ankunft in England um die Welt. Er war zur Teilnahme an der zweiten britisch-indischen Round-Table-Konferenz über die zukünftige Verfassung Indiens angereist. Neben einer dunklen und einer weißen Ziege, die ihn medienwirksam begleiteten, erregte eine hochgewachsene Europäerin an seiner Seite die Aufmerksamkeit.

Madeleine Slade reiste wie der Mahatma in einem weißen Khadi aus handgesponnener indischer Baumwolle. Sie hatte sich 1925 im Alter von 33 Jahren nach Ahmedabad in den Sabarmati-Ashram begeben, um an der Seite des Mahatmas ihren spirituellen Weg zu finden und den Kampf für Indiens Unabhängigkeit zu unterstützen.

Eine besondere Brisanz bekam dieses Engagement durch die Tatsache, dass sie als Engländerin nicht nur gegen die Interessen ihres Heimatlandes auftrat, sondern auch gegen die ihrer Herkunftsfamilie. Ihr Vater, Admiral Sir Edmond Slade, war unter anderem Kommandeur des ostindischen Flottenstützpunktes in Bombay.

Schwester Mira

In Anlehnung an die hinduistische Mystikerin Mirabai verlieh Gandhi Madeleine Slade den Namen Mirabehn, zu Deutsch Schwester Mira. Mirabehn ist allen, die sich mit Indiens Weg in die Unabhängigkeit beschäftigt haben, ein Begriff. In Sir Richard Attenboroughs Film Gandhi aus dem Jahr 1982 wird sie von Geraldine James verkörpert. Richard Attenborough hatte Madeleine Slade zu Beginn der Dreharbeiten als Beraterin hinzugezogen. Damals lebte sie schon längst nicht mehr in Indien. Sie war aber auch nicht nach England zurückgekehrt, sondern hatte sich, was nur Wenige wissen, 1962 im Wienerwald niedergelassen.

Dieses letzte Kapitel, das beinahe ein Drittel ihres bewegten Lebens umfasst hat, ist durch den Nachlass dokumentiert, den Mirabehn ihrer Freundin Lea Calice vermacht hat. Die Briefe, die Mohandas Karamchand Gandhi im Lauf der 27 Jahre ihres gemeinsamen Lebens an Mira geschrieben hat, werden im Archiv der Nehru Memorial Museum Library in Neu-Delhi aufbewahrt.

2018 wurde der österreichische Nachlass dem Wiener Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde übergeben. Darin finden sich Briefe Mirabehns an ihren englischen Onkel Alec, Zeitungsartikel, in denen sie sich unaufhörlich für den Umweltschutz in den indischen Himalaja-Gebieten einsetzt, ihr Testament, und mehrere Versionen des Manuskripts "Beethovens Mystic Vision".

Von England über Indien nach Österreich

Madeleine Slade war als 15-Jährige von Beethovens Musik überwältigt worden und hatte nach dem Ersten Weltkrieg den Literaturnobelpreisträger Romain Rolland aufgesucht, der 1903 eine Beethoven-Biografie veröffentlicht hatte. Er kündigte ihr an, demnächst eine Biografie über Mahatma Gandhi herauszubringen. Als sie diese 1924 las, stand ihr Entschluss fest, der Idee des Mahatmas für Frieden und Gemeinsamkeit zu dienen.

Nach seiner Ermordung im Jänner 1948 blieb sie noch über ein Jahrzehnt in Indien und setzte sich für den Umweltschutz und die Ideen Gandhis ein. Erst als sie sich, zermürbt vom Widerstand der Regierung, entschied, das Land zu verlassen, erinnerte sie sich an ihre Begeisterung für Beethoven, und so kam sie in die Umgebung Wiens, wo Beethoven von 1792 bis 1827 gelebt hat. Begleitet von ihrem indischen Diener Rameshwar Datt lebte sie zuletzt in dem kleinen Ort Kracking. Sie starb am 20. Juli 1982 in Österreich.

Gestaltung: Christa Nebenführ