Jeffrey Eugenides

AP/MEL EVANS

Ex libris

Das große Experiment

Erzählungen von Jeffrey Eugenides.

Neben Paul Auster, T.C. Boyle und Jonathan Franzen gehört Jeffrey Eugenides zu den großen, international erfolgreichen Vertretern der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur. Romane wie "Middlesex" und "The Virgin Suicides" haben den 58-jährigen Sohn griechischer und irisch-amerikanischer Einwanderer auch bei uns zum Bestsellerautor gemacht. Sein aktuelles Werk ist ein 330 Seiten starker Erzählband.

"Grüße aus dem Paradies!"

Bali, Thailand, Indien: In der Erzählung "Air Mail" schickt Jeffrey Eugenides seinen Protagonisten Mitchell auf die Suche nach spirituellen Erfahrungen. In seinen Luftpostbriefen will Mitch mit Mom und Dad teilen, was er zwischen Goa und Bangkok über "die letzten Dinge" herausgefunden hat:

"Die östliche Religion lehrt, dass alle Materie nur Täuschung ist. Dazu gehört alles, unser Haus, sämtliche Anzüge von Dad, sogar Mamas Hängepflanzentöpfe - laut Buddha ist all das ,maya’. In diese Kategorie gehört selbstverständlich auch der Körper."

Jeffrey Eugenides macht kein Hehl daraus, dass er in "Air Mail" eigene Erfahrungen als jugendlicher Backpacker verarbeitet hat. Auch Jung-Jeffrey ist einst, wie sein unter Diarrhö leidender Protagonist, monatelang durch Asien getrampt.

"Damals warst du von allem abgeschnitten ..."

"... Es gab kein Facebook, kein Internet, du hast auch nicht allzu oft zu Hause angerufen, es war zu teuer und zu schwierig. Das heißt: Du hast Briefe geschrieben, Mein Held macht das genauso." Jeffrey Eugenides

Zehn Texte umfasst Eugenides' erster größerer Erzählband, und alle diese fabelhaften, süffig zu lesenden Stories erzählen von Menschen, die sich auf die eine oder andere Weise existenziellen Herausforderungen stellen müssen. Ob es Rodney ist, treusorgender Familienvater und Spezialist für Alte Musik, der sich ein Clavichord auf Kredit kauft, dessen Raten er nicht mehr bedienen kann, oder die alte Dame, die in einer drittklassigen Seniorenresidenz am Rande der Großen Seen dem Tod entgegendämmert und es dann noch einmal wissen will: Immer wieder erzählt Eugenides von Angehörigen der Mittelschicht, die im Amerika George W. Bushs - und Donald Trumps - unter die Räder zu kommen drohen.

Betrügerische Aktivitäten

Mit finanziellen Problemen kämpft auch der Summa-cum-laude-Studienabsolvent Kendall. Obwohl er mit Anfang zwanzig einen vielversprechenden Gedichtband veröffentlicht und bereits im "Times Literary Supplement" publiziert hat, jobbt er jetzt, mit Mitte vierzig, immer noch als prekär beschäftigter Lektor für einen gealterten, aber stinkreichen Hippie-Verleger; Kendalls Bezahlung ist derart mies, dass er das Familienheim in einem Vorort von Chicago nur noch mit dem geöffneten Backrohr heizen kann. Mehr ist finanziell nicht drin.

Ein Verlagskollege, der Buchhalter Piasecki, will Kendall zu einem krummen Ding überreden - Notwehr sozusagen. Sie wollen den greisen Verleger mit buchhalterischen Tricks um ein paar hunderttausend Dollar erleichtern. Ob das gut geht?

Samenspender

Ganz andere Sorgen hat die 40-jährige Fernsehredakteurin Tomasina, die sich nichts so sehnlich wünscht wie ein Kind. Da sie gerade keinen Erzeuger zur Hand hat - alle vergeben, reizlos oder irgendwie bindungsunfähig - lädt Tomasina zu einer "Fruchtbarkeitsparty" in ihr Appartement in Manhattan. Im Brennpunkt des Geschehens steht eine mit Spendersperma gefüllte Bratenspritze. Eine bizarre Erzählung, die eine doch sehr spezielle Art von Komik entwickelt. Für ihn sei das Schreiben von Kurzgeschichten immer wieder eine Herausforderung, erklärt Jeffrey Eugenides:

"Kurzgeschichten sind näher bei Gedichten als bei Romanen." Jeffrey Eugenides

Jeffrey Eugenides ist in unseren Breiten mit seinen großen Romanen bekannt geworden. Dass der Mann auch in der kürzeren Form zu brillieren versteht, beweist er mit seinem aktuellen Erzählband.

Service

Jeffrey Eugenides, "Das große Experiment - Erzählungen", Rowohlt Verlag
Originaltitel: "Fresh Complaint"

Gestaltung

Übersicht