Peter Klein

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Festrede von Ö1 Chef Peter Klein

Warum ich Kulturredakteur und nicht - wie ursprünglich geplant - Innenpolitiker geworden bin

Von Peter Klein

Die Geschichte beginnt so

Als ich im Frühjahr vor 39 Jahren ins ORF-Landesstudio Vorarlberg ging um dem damaligen Chefredakteur (er hieß Mayer, Ossi Mayer) zu erklären, dass ich gerne Radiojournalist, am besten: Innenpolitikredakteur werden wolle, hat er mich (er war Wiener) eine Weile lang prüfend angesehen und daraufhin gesagt: "I glaub, Sie g‘hörn in die Wissenschaft - oder besser noch - in die Kultur."Ich empfand das als Herabwürdigung, tat aber wie geheißen - und begann.

Ich war keineswegs unglücklich, mit meinen Features und Beiträgen, mit meinen Buchbesprechungen und Feuilletons. Wir hatten viele Freiheiten damals in der Kultur - und dennoch blickte ich neidisch auf die Kollegen (und wenigen Kolleginnen) vom Aktuellen Dienst, wie man damals zur Information noch sagte.

Die Kollegen waren schneidig, fuhren Alfa Romeos (ich einen gebrauchten, gelben Renault 4), sie waren hoch angesehen, sehr gut informiert und kannten natürlich Gott und die Welt. Vor allem aber die Landespolitik und ihre Proponenten.

Gelegentlich - im Regelfall als Abfall- oder Nebenprodukt größerer Reportagen oder Dokumentationen - durfte ich auch für den Aktuellen Dienst arbeiten. Ich erinnere mich an einen Beitrag über einen limnologischen Kongress in Lindau, bei dem die Wasserqualität unserer Seen verhandelt wurde, und einmal durfte ich sogar, weil ich ja von der Kultur kam, für die Landesrundschau ein Interview mit Konstantin Wecker machen.

Nach einigen Jahren im Landesstudio zog ich nach Wien. Das ORF-Funkhaus, in dem wir uns gerade befinden, war das Ziel allen Strebens. Hier wohnten Ö1, Ö3,
die Musicbox, die Featureredaktion, das Mittagsjournal und das Morgenjournal.

Doch während ich im kleinen und übersichtlichen Landesstudio wenigsten noch gelegentlich für den "Aktuellen Dienst" arbeiten durfte, waren hier in Wien, in der Zentrale, meterhohe Mauern aufgezogen zwischen der Kultur, der Wissenschaft und der Information. Die einen hatten mit den anderen nichts zu tun. Politik war das eine, Kultur das andere. Visa für Grenzübertritte wurden keine ausgestellt

Die Trennung zwischen "Information" auf der einen und dem Rest der Welt auf der anderen Seite ist auch heute noch keineswegs überwunden.

Die österreichische Medienbehörde KommAustria, die das Angebot des ORF auf seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag hin überprüft, hat zur Beurteilung desselben mehrere Kategorien zur Verfügung. Sie unterscheidet unter anderem trennscharf zwischen Information, Wissenschaft und Kultur.

Laut amtlicher Programmanalyse beinhaltet das Wortprogramm von Ö1 derzeit 24 Prozent Information, 40 Prozent Kultur und rund 13 Prozent Wissenschaft und Bildung. Eine bemerkenswerte Segregation, wie ich finde.

Berichte über Bücher, Filme oder Theaterpremieren enthalten demnach - und da muss man jetzt kein semantischer Feinspitz sein - keine Information. Denn sie gehören zur "Kultur". Der Begriff "Information" bleibt allein den Journalen und den Nachrichten vorbehalten. Der Innen-, der Außen- und der Wirtschaftspolitik. Das tägliche Radiokolleg, die Sachbuchreihe "Kontext" oder die vielfach preisgekrönten Radiofeatures sind damit allesamt informationsfreie - und damit politikferne - Areale.

Wien also nun: Die Hauptstadt

Mein erster Schreibtisch stand in der "Diagonal"-Redaktion, bald holte mich Übervater Alfred Treiber zu sich und beauftrage mich, eine Reihe mit Literaturfeatures zu entwickeln - die "Tonspuren". Als ich dafür mit einem - damals - angesehen Radiopreis ausgezeichnet wurde, erschien in den Zeitungen am nächsten Tag das Bild eines ORF-Sportreporters. Er hieß, ebenso wie ich, Peter Klein und war auf Auto-Rallyes und auf Radrennen spezialisiert. Die ORF-Pressestelle hatte auf Anfrage der Zeitungen das Bild jenes Peter Klein herausgerückt, den sie, die Pressestelle, kannte. Ein Ö1-Kulturredakteur solchen Namens war innerhalb des Hauses nicht bekannt.

Nach sieben Jahren in der Literatur- und Featureredaktion wollte ich es dann aber wissen: Ich übernahm - Gerhard Zeiler war gerade Generaldirektor geworden und brachte einiges in Bewegung - ich übernahm also eine Stelle im Aktuellen Dienst.

Ich wollte mich - endlich! - mit Politik beschäftigen und dorthin gehen, wo die "Information" zu Hause ist.

Ich wollte im Zentrum arbeiten - und nicht länger an den Rändern.

Ich strebte - die eigene Bedeutung wächst schließlich mit dem Gegenstand, an dem man sich abarbeitet - nach Relevanz. Und, JA, ich wollte endlich auch zum jährlichen Sommerfest des Bundeskanzlers eingeladen werden und nicht nur, wie bisher,
in das Literarische Quartier der Alten Schmiede.

Ich verließ also die Kultur und trat ein ins Allerheiligste. Ich traf auf selbstbewusste Menschen, die die Kunst beherrschten keine Fehler zu machen; ich traf auf Menschen, denen politischer Idealismus peinlich war und die den naiven Wunsch nach einer besseren Welt allenfalls milde belächelten.

Ich lernte handwerklich viel in meinen Lehrjahren in der Information. Inhaltlich lernte
ich wenig. Vor allem aber: Ich lernte nichts über Politik. Beziehungsweise nichts darüber, was ich unter Politik verstand.

Der tagesaktuelle Journalismus, das lernte ich wohl, ist eine Art Notfallambulanz. Behandelt und verarztet wird was reinkommt. Wahlen, Wetter und Wirtschaftsdaten, Koalition, Konflikte und Katastrophen, Regierungsvorlagen, Rücktritte und Rangeleien.

Es dauerte eine Weile bis ich verstand: Die Kolleg/innen aus der Politikabteilung befassten sich nicht mit Politik. Sie befassten sich mit politischen Ereignissen.
Ich saß - meiner eigenen Naivität geschuldet - einem gravierenden Missverständnis auf. Der aktuelle Journalismus beantwortet politische Fragen nicht. Die Fragen nach dem Wesen unserer Gesellschaft, nach unseren Zielen und die Vermessung unseres Seins in einem historischen Kontext, werden anderswo gestellt und anderswo beantwortet.

Ich machte nach wenigen Jahren kehrt und ging dorthin wo ich herkam. Zurück in die Kultur. Dorthin, wo Langsamkeit kein Makel ist und wo endlose Debatten nicht als Zeitverschwendung gelten.

Ö1 - und sie müssen mir dieses Selbstlob jetzt gestatten - ist unter anderem deshalb der erfolgreichste Kultursender Europas, weil er sich auf Arbeitsteilung versteht. Die Journale und Nachrichten bilden das Rückgrat unseres Programms. Das Morgen- und das Mittagsjournal sind die mit Abstand meistgehörten Sendungen. Den Kolleginnen und Kollegen gebührt Anerkennung und Dank.

Keineswegs aber haben Nachrichten und Journale das Monopol auf Politik. Information und Kultur bilden nach meinem Verständnis zwei Zugänge zum selben Thema. Die Kultur ist der Debattierclub der Politik, die Grundsatzabteilung.

Hier werden die nachhaltigen Fragen erörtert, hier darf und muss die Wahrheit hinter den Fakten gesucht, hier dürfen Utopien und Dystopien formuliert, Prognosen gewagt und Visionen riskiert werden - ohne, dass gleich jemand nach dem Psychiater ruft.

Kultur, so wie ich sie verstehe, ist nichts Geringeres als die Summe aller Lebensäußerungen aller Menschen. Politik ist eine Teilmenge davon. Insofern habe ich dem ehemaligen Chefredakteur des ORF-Landesstudios Vorarlberg - er hieß Mayer, Ossi Mayer - dankbar zu sein als er meinte, ich gehöre in die Wissenschaft oder - besser noch - in die Kultur. Er hat, bis zum heutigen Tag, recht behalten.

Zum Sommerfest des Bundeskanzlers wurde ich, falls Sie das abschließend noch interessiert, übrigens nie eingeladen.

Danke.