
ORF
Debatte über Geld für Öffentlich-Rechtliche
Im toten Winkel der GIS-Gebühr
Die Entscheidung über die Gebührenfinanzierung des ORF ist auf 2021 vertagt, doch ähnliche Debatten laufen in halb Europa: In Frankreich beginnt es gerade, in der Schweiz und in Dänemark sind die Debatten abgeschlossen – mit völlig konträrem Ausgang. Österreichs Gebührenmodell muss so oder so überarbeitet werden: Wer ORF-Inhalte nur über das Internet streamt, muss nämlich keine Gebühren bezahlen – ein toter Winkel, in dem noch dazu gerade das Zukunftsprojekt schlechthin entwickelt wird: der ORF-Player.
13. Mai 2019, 02:00

Es ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichthofs vom 30. Juni 2015, die weitreichende Folgen hatte. "Ein Computer, über den mittels Rundfunktechnologien Rundfunkprogramme empfangen werden können (etwa mittels TV- oder Radiokarte, DVB-T-Modul), ist demnach als Rundfunkempfangsgerät zu beurteilen. Ein Computer lediglich mit einem Internetanschluss ist hingegen kein Rundfunkempfangsgerät, sodass dafür keine Rundfunkgebühren zu bezahlen sind." So fasste das Höchstgericht seinen eigenen Spruch zusammen, der jetzt bald vier Jahre gilt.
Höchstgericht machte Schlupfloch auf
Genauso lang gibt es die sogenannte Streaming-Lücke, die immer größer wird. Denn das lineare Fernsehen hat in Österreich zwar immer noch den weitaus größten Anteil, aber immer mehr und vor allem die jungen Menschen nützen Streaming-Angebote etwa von Netflix, Amazon Prime und YouTube. Auch ORF-Programme werden gern gestreamt, die vor kurzem erneuerte TVthek erfreut sich wachsender Beliebtheit. 2018 hat es Rekordwerte bei Videoabrufen, Visits, Nutzerzahlen und App-Downloads gegeben. Seit März gibt es die TVthek im neuen Design und mit neuen Nutzungsmöglichkeiten.
Marktlücke durch die Streaminglücke
Bewegtbild-Angebote des ORF können über die TVthek dank dem Höchstgerichtsentscheid aus 2015 gebührenfrei konsumiert werden, das hat auch zu einem Kuriosum auf dem Markt für Unterhaltungselektronik geführt: Der Absatz von Fernsehern - eigentlich sind es nur Monitore - ohne Empfangsmodul boomt, weil man mit solchen Geräten der GIS-Gebühr entkommt. Die großen Märkte bieten solche GIS-befreiten TV-Geräte schon längst in einer eigenen Produkt-Kategorie an.

ORF-Player als Herzstück und Ansage
Und es wird noch kurioser. Der ORF entwickelt derzeit seinen Player, der das Medienunternehmen digital völlig neu aufstellen soll – dass die gesetzlichen Grundlagen wie "Online First" und "Online Only" dafür geschaffen werden, ist von Regierungsseite schon signalisiert worden. In diese Plattform soll die TVthek integriert werden, die das komplette Programm streamt und – so der Plan – auch einen "Social Program Guide" bietet. Gedacht ist das als eine soziale Plattform, die Facebook, Instagram und YouTube zu einem Teil zum ORF zurückholt.
Viele Debatten auf Social Media nehmen beim Fernsehen ihren Ausgang und sollen auch dort diskutiert werden. Das ist eine der Überlegungen. Auf der Plattform sollen auch die Macher der Beiträge und Sendungen ihre Inhalte ankündigen und mit den Usern diskutieren. Auch Empfehlungen sollen dort stattfinden. Der ORF will auch private Medien einbinden, wenn die ihrerseits wollen.
Blümel bringt Haushaltsabgabe ins Spiel
Dieser neue Player – ein künftiges Herzstück des ORF-Angebots - würde nach derzeitiger Rechtslage auch nicht von der GIS-Gebühr erfasst sein. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat den Plan, das Log-in zum Player mit der GIS zu koppeln. So will er die "Streaming-Lücke" schließen. Medienminister Gernot Blümel von der ÖVP hat hingegen die Idee der Haushaltsabgabe ins Spiel gebracht, um denselben Effekt zu erzielen. In Deutschland gibt es diese nicht an ein Empfangsgerät gebundene Finanzierung von ARD und ZDF schon seit 2013, seit Jahresbeginn 2019 wird auch die Schweizer SRG via Haushaltsabgabe finanziert.

Schweiz macht nach Sieg große Reform
In der Schweiz ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk im vergangenen Jahr vor der Frage gestanden, ob er überhaupt noch weiter existieren wird. Die sogenannte "No-Billag"-Initiative hat sich für die ersatzlose Streichung jeder öffentlichen Finanzierung für die SRG eingesetzt, es ist zu einem Referendum gekommen, bei dem keine Alternativvorschläge zur Abstimmung kamen. Alles oder nichts also.
Die Volksabstimmung ist dann mit mehr als 70 Prozent überraschend deutlich für den Bestand der SRG ausgegangen. Die hat dann die Gebühr gegen die Haushaltsabgabe getauscht, 365 Franken im Jahr macht sie aus und das ist weniger als vorher. Umgerechnet 90 Cent pro Tag, der ORF bekommt aus der GIS-Gebühr 55 Cent pro Tag.
Dänischer Rundfunk geht ins Ungewisse
In Dänemark ist die Entwicklung im Vorjahr in die genau entgegengesetzte Richtung gegangen, die Gebührenfinanzierung für Danmarks Radio (DR) ist per Parlamentsbeschluss abgeschafft worden, das Budget wird jetzt etappenweise um 20 Prozent gekürzt. Lasse Jensen, ein arrivierter dänischer Medienjournalist, kennt die Verhältnisse aus der Nähe und schildert seine Erfahrungen dieser Tage auch in Wien, wo der Verfassungsausschuss im Parlament das Volksbegehren "ORF ohne Zwangsgebühren" behandelt.
"Die Änderungen werden dramatisch sein"
Im #doublecheck-Interview sagt Jensen: Das Publikum spüre noch nicht viel von den Änderungen, weil die Sparwellen erst anlaufen. "Doch die Änderungen werden kommen, und sie werden dramatisch sein." DR muss drei von sechs TV-Kanälen zusperren, drei von acht Radio-Stationen werden abgeschaltet, 400 Mitarbeiter müssen gehen. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Dänemark verheerend, weil für die Positionierung im Digitalen – Stichwort ORF-Player – kein Spielraum bleibe. Vom gewachsenen Einfluss der Politik, die über das Budget die Schrauben anziehen könne, gar nicht zu reden, so Jensen.
Gelbwesten zünden Gebührendebatte an
Diskutiert wird über die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks neuerdings auch in Frankreich, wo Budgetminister Gerald Darmanin einen Testballon steigen hat lassen – wohl mit Billigung von Präsident Emanuel Macron. Die Rundfunkgebühr sei heute den Menschen nicht mehr vermittelbar, hat der Minister gesagt – es gab gleich großen Protest. Denn wie ORF-Korrespondent Christophe Kohl weiß, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich angesehen – aber wie alle Medien unter dem Druck von Protest-Kräften, ob rechte oder linke.
Konkret hätten die "Gilets Jaunes" – die sogenannten Gelbwesten - den Ausschlag gegeben, dass auf der Suche nach finanziellen Entlastungsmöglichkeiten durch die Politik auch die Rundfunkgebühr in die Auseinandersetzung gezogen worden ist, sagt Christophe Kohl.