Mona Lisa im Louvre ausgestellt

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Ö1 Kunstgeschichten

"Lisa" von Daniel Wisser

Es geht um eines der berühmtesten Frauenporträts. Es geht aber auch um Liebe und Liebesenttäuschung, und um den Versuch einer Weltflucht. Und es geht um die Frage, was Schönheit ist. Der Wiener Autor Daniel Wisser erzählt seine "Kunstgeschichte" auf zwei Zeitebenen: Einerseits ist da die Reise des männlichen Ich-Erzählers und seiner Freundin Paula nach Paris, um im Louvre Leonardo da Vincis berühmtes Renaissancegemälde "Mona Lisa" zu sehen. Die zweite Erzählebene handelt vom Diebstahl ebendieser "Gioconda" im Jahr 1911. Die von Edith-Ulla Gasser kuratierte Erstveröffentlichungsreihe "Ö1 Kunstgeschichten" widmet sich dem Kunstblick von Autorinnen und Autoren.

Daniel Wisser

FOTOAGENTUR SVEN SIMON

Daniel Wisser, in Klagenfurt geborener Wiener des Jahrgangs 1971, schreibt seit 1990 Prosa, Gedichte und Songtexte. Für seinen Roman "Königin der Berge" wurde er mit dem Österreichischen Buchpreis 2018 ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Erzählband "Die erfundene Frau". Mit dem Ersten Wiener Heimorgelorchester veröffentlichte der Autor zahlreiche Tonträger, darunter die Alben "Anderwo" oder "Die Letten werden die Esten sein".

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Eigentlich spielte die Stadt, die wir ausgesucht hatten, bei unseren Städtereisen keine Rolle. Paula und ich bevorzugten, im Hotel zu bleiben. Wir liebten Regen und Schlechtwetter. Dann mussten wir auch kein schlechtes Gewissen haben, die Altstadt oder ein Museum oder eine Sehenswürdigkeit nicht besucht zu haben. Nach dem Frühstück testeten wir das Spa des Hotels und aßen später auf dem Zimmer zu Mittag. Danach schlief Paula gerne zwei Stunden und ich schrieb auf das Briefpapier, das man in jedem Hotel in einer Mappe auf dem Schreibtisch findet, eine Kurzgeschichte.

Paula und ich - wir kannten einander erst seit drei Monaten, aber wir verbrachten so viel Zeit wie möglich gemeinsam. Unsere Devise war: Wir lassen es darauf ankommen. Die Idee, nach Paris zu fahren, war von mir. Paula gefiel sie sofort. Besonders die Vorstellung, drei Tage in Paris zu verbringen, ohne den Eiffelturm zu besuchen, erregte sie. Wir besiegelten unseren Beschluss mit Sex, Koffer-Packen und noch mehr Sex.

Paula und ich - wir konnten uns schon nach drei Monaten ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellen, egal, ob Paula schwanger werden würde oder nicht. Und wir hatten viele Gemeinsamkeiten: Beide liebten wir es, Geld auf der Straße zu finden. Wir liebten es, in Vier- und Fünfsternehotels zu wohnen und wir steigerten uns unterwegs in Schimpftiraden über andere Reisende, ihre Kleidung, ihre Schuhe, ihr Benehmen, aber auch über schlechten Kaffee, mieses Essen, sehensunwürdige Sehenswürdigkeiten oder hässliche Bauwerke.

Schon auf dem Wiener Hauptbahnhof begann Paula die Hauptbahnhofstirade: Der Bahnhof habe kein richtiges Portal, sähe aus wie ein Einkaufszentrum, man fände sich nicht zurecht und überhaupt müsse ein anständiger Hauptbahnhof ein Kopfbahnhof sein und nicht eine Ansammlung von Bahnsteigen wie ein Lokalbahnhof. Ich lachte Tränen, als wir in den Zug nach Paris stiegen.

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Der Tischlermeister Antonelli aus Varese war bekannt dafür, seinen Lehrlingen stundenlange Reden über die Hochblüte der italienischen Kultur im 15. und 16. Jahrhundert und deren nun schon Jahrhunderte andauernden Niedergang zu halten. Sein begabtester Zuhörer war der Tischlergeselle Luigi Piero, ein unbegabter Handwerker, der - seit er sich bei einem Unfall eine Fingerkuppe abgesägt hatte - von den anderen Lehrlingen und Gesellen Neuneinhalb genannt wurde. "Einmal im Leben musst du nach Paris fahren, um die Gioconda von da Vinci zu sehen, das größte Kunstwerk aller Zeiten", sagte Meister Antonelli immer wieder zu Neuneinhalb.

Im Jahr 1896 begann ein junger Mann namens Vincenzo Peruggia aus Dumenza seine Lehre bei Antonelli. Peruggia befreundete sich mit Neuneinhalb und erzählte ihm, er habe vor, berühmt zu werden, wie, das wisse er noch nicht. Er beneidete Piero dafür, dass der Tischlermeister nur mit ihm über Kunst sprach und sonst mit keinem anderen seiner Gesellen und Lehrlinge. "Du musst nach Paris, Piero. Ich sage es dir", sagte Antonelli, "und noch eines: Wenn es darum geht, einen Nagel einzuschlagen, lass das den Peruggia machen. Du kannst das nicht!"

Kaum aber war Peruggia mit Neuneinhalb allein, begann der Lieblingsgeselle über seinen Meister zu lästern. Er zog über Antonelli her und klagte, wie qualvoll es sei, seinen stundenlangen Monologen zuzuhören. Schließlich sagte er eines Tages: "Wenn diese Gioconda das größte Kunstwerk aller Zeiten ist und wenn das größte Kunstwerk aller Zeiten von einem Italiener geschaffen wurde, warum hängt es dann in einem Museum in Frankreich?"

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Am ersten Tag in Paris testeten wir das Hotel. Es lag in der Rue Boissy d'Anglas im achten Arrondissement. Beim Abendessen - Paula hatte im Michelin ein Restaurant ausgesucht - hatten wir ein eigenartiges Gespräch. Das heißt, eigentlich redete nur ich. Paula aß langsam und sah abwesend in die Ferne. Noch nie zuvor hatte eine derart bedrückte Stimmung zwischen uns beiden geherrscht. Paula hatte diesen Blick, der auf mich wirkte, als schaue sie zwar in meine Richtung, fokussiere aber einen Punkt, der weit hinter mir lag. Wenn man in Paris sei, müsse man den Louvre sehen, sagte ich - oder so ähnlich. Paula nickte und aß.

Am darauffolgenden Tag besuchten wir den Louvre. In der langen Schlange begann Paula ihre Tirade: "Wozu man sich hier stundenlang anstellt? Es geht ja doch nur um die Mona Lisa. Schon der Name ist ein Hohn. So wie Beethoven heute nicht wüsste, was gemeint ist, wenn man von der Mondscheinsonate spricht, so würde Leonardo nicht verstehen, wenn von der Mona Lisa die Rede wäre. Sie hieß einfach Lisa, dieser hässliche Erdapfel ohne Augenbrauen mit dem trottelhaften Grinsen. Es ist ein ganz durchschnittliches Gemälde. Berühmt wurde es nur, weil es ein Mann gestohlen hat, der durch den Diebstahl berühmt werden wollte." Am meisten lachte ich über den hässlichen Erdapfel. Doch Paula hörte nicht auf: "Es ist mir schleierhaft, warum du hier hergehen willst. Wozu haben wir ein teures Hotel genommen? Damit wir den ganzen Tag in einer Warteschlange verbringen? Damit wir dieselben Fotos machen wie die halbe Milliarde Chinesen, die mir gerade auf die Ferse tritt und in den Nacken hustet?" Ich begann mich zu ärgern. Jetzt musste ich mich verteidigen. Ich sagte zu Paula, ich habe sie doch noch am Vortag gefragt, ob wir den Louvre sehen wollten oder nicht. Doch Paula war ungehalten: "Du hast mich nicht gefragt, du hast gesagt: Wenn man in Paris ist, muss man den Louvre sehen."

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Im Gegensatz zu Neuneinhalb, der jedes Wochenende Ausflüge unternahm und sich dabei jedes Mal frisch verliebte, verbrachte der junge Peruggia die Wochenenden in seinem Bett. War er früher noch einmal am Tag aufgestanden, um kurz nach draußen zu gehen oder zumindest auf die Toilette, so verbrachte Peruggia die Sonntage bald nur noch liegend. Er stellte fest, dass er ganz auf Wasser und Essen verzichten konnte, so sparte er noch mehr von seinem Lohn für eine Reise nach Paris. Auch die Notdurft konnte Peruggia einen Tag lang zurückhalten. Das Einzige, was er tat, war, die Zeitungen zu lesen, die er unter der Woche gesammelt hatte, wobei er manche Artikel an einem Sonntag zehn- bis zwanzigmal las. Besonders faszinierte ihn die Meldung, dass ein Amerikaner namens Hamilton einen Weltrekord aufgestellt hatte, indem er sich in einem Sarg sieben Tage lang begraben hatte lassen. Peruggia war der Meinung, er könne das auch und beschloss, sich einmal krankzumelden, um das Liegen zu üben und drei Tage im Bett zu verbringen.

Eines Tages wurde in der Werkstatt von Antonelli ein Sarg gezimmert, den ein reicher Sänger, der noch am Leben war, beim Tischlermeister bestellt hatte. Peruggia versuchte zuerst im Scherz, Neuneinhalb zu überzeugen, dass er im fertigen Sarg Probe liegen müsse, um zu testen, ob der Sarg auch in Ordnung sei. Doch Piero winkte ab; Scherze mit dem Tod seien ihm zu makaber. Schließlich musste Peruggia darum bitten, dass er am Samstag zu Mittag in den Sarg steigen dürfe. Neuneinhalb solle den Sarg zunageln und Peruggia am Montagmorgen, wenn er vor Antonelli in die Tischlerei kam, wieder aus dem Sarg befreien. Doch Piero war die Sache nicht geheuer und schließlich musste Peruggia ihm die Zeitungsmeldung über Mister Hamilton zeigen und ihm erklären, dass er, Vincenzo Peruggia, vorhabe, den Weltrekord im Lebendig-Begraben-Sein zu brechen, um berühmt zu werden. Neuneinhalb war nicht umzustimmen. Er hielt die Sache für gefährlich, sinnlos und dumm und sagte zu Peruggia: "Wenn du berühmt werden willst, geh nach Paris, hol diese Gioconda aus dem Museum und bring sie zurück nach Italien. Dann wirst du ein Held!"

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Als wir den Raum erreichten, in dem die Mona Lisa ausgestellt war, sahen Paula und ich, dass es unmöglich war, auch nur kurz vor dem Gemälde zu stehen. Hinter der Absperrung herrschte dichtes Gedränge. Der Platz ganz vorne war unerreichbar. Das Gemälde wurde außerdem von einer riesigen Panzerglasplatte geschützt, sodass sich vermutlich auf allen Fotos, die die Besucher machten, Spiegelungen der fotografierenden Menge befanden. Ich hatte Angst, vor Paula das Mobiltelefon zu zücken, um ebenfalls zu fotografieren.

Die Panzerglasplatte war absurd groß und erinnerte mich an das Glas, hinter dem Barack Obama bei seinem Besuch in Berlin eine Rede gehalten hatte. Wir sahen nicht viel vom Gemälde. Wirklich war die Mona Lisa ein hässlicher Erdapfel. Mir fiel auf, dass sie dickliche Hände hatte, nämlich solche, deren Fingerknöchel keine Erhebungen, sondern Vertiefungen sind. Und dass ihre Finger zu den Spitzen hin rötlich wurden.

Abends aßen wir wieder in einem teuren Restaurant. Ich wollte Paula erheitern und begann eine Tirade über den Wein: "Also dieser Château Dauzac ist vielleicht ein Brackwasser. Sollen wir Cola dazu bestellen und ihn mischen?" Paula lachte nicht. Sie stieß ihr Weinglas um, stand auf und ging. Alle Köpfe drehten sich zu unserem Tisch. Manche bemerkten meine Scham und Verzweiflung und versuchten, nicht zu mir her zu blicken. Andere hatten weniger Erbarmen. Paulas Glas war noch sehr voll gewesen, der Château Dauzac war auch auf meiner Hose gelandet. Der Ober brachte mir ein Tuch und fragte, ob er Paulas Teller abservieren könne. Ich saß da und trank den Wein alleine aus. Und ich begann mit mir selbst zu reden: "Das war das letzte Mal, dass ich mit ihr essen war. Das letzte Mal, dass ich für ein teures Hotel bezahlt habe und für dieses Brackwasser hier. 110 Euro für eine Flasche Brackwasser. Scheiß Mona Lisa! Scheiß Louvre! Scheiß Paris!"

Zwei Stunden später kehrte ich ins Hotel zurück. Bis zu diesem Tag hatten Paula und ich täglich Sex gehabt und täglich gesagt, dass wir einander liebten. An diesem Tag rollte Paula sich ein, drehte sich von mir weg und sagte: "Du stinkst!"

Markus Hering

JIM RAKETE

Der Burgtheaterschauspieler Markus Hering, geboren 1960 im westfälischen Siegen, machte zunächst eine Tischlerlehre und arbeitete in der Forstwirtschaft. Erst später wandte er sich ganz dem Schauspielberuf zu. Markus Hering spielte in zahllosen Filmen, seine markante Stimme steht im Mittelpunkt etlicher Hörbücher, und er ist mehrfacher Nestroy-Preisträger. Er spielte unter anderem am Staatstheater Kassel, am Schauspielhaus Wien, an den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main und am Münchner Residenztheater.

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Als Angestellter eines Glasermeisters hatte Vincenzo Peruggia es geschafft, einen Auftrag vom Louvre zu erhalten. Als er das erste Mal im Salon Carré vor der Gioconda stand, war er über sich selbst verärgert. Er dachte, dass er eigentlich Tränen in den Augen haben sollte. Aber das Gemälde beeindruckte ihn nicht.

Peruggia ging nun öfter im Louvre aus und ein. Am Montag war das Museum für die Öffentlichkeit geschlossen und nur Handwerker und Kopisten hatten Zutritt. In Paris machte das Gerücht die Runde, der Künstler Pablo Picasso habe vor, die Gioconda aus dem Louvre zu stehlen, um zu zeigen, wie schlecht das Museum seine Kunstwerke gegen Diebstahl sicherte. Oder - so dachte Peruggia - dieser Picasso will durch diesen Diebstahl berühmt werden und in die Zeitungen kommen. Er musste ihm zuvorkommen.

Am 21. August 1911, einem Sonntag, besuchte Peruggia den Louvre. Er ging oftmals an einer Abstellkammer vorbei, die für Reinigungsgeräte benutzt wurde. Jedes Mal, wenn er unbeobachtet war, drückte er die Klinke und versuchte, die Tür zu öffnen. Am Nachmittag fand er die Tür tatsächlich nicht nur nicht abgesperrt, sondern sogar einen Spaltbreit offen vor. Peruggia betrat die Abstellkammer, schloss die Tür hinter sich, suchte einen Platz im hintersten Bereich und legte sich in der Dunkelheit der Kammer auf den Boden. Er konnte lange still liegen, das wusste er. Am Abend hörte er, wie jemand die Tür öffnete, etwas in die Abstellkammer stellte, die Tür wieder schloss und von außen zusperrte. Peruggia lag da und wartete auf den nächsten Morgen. Er dachte an den Sarg von Meister Antonelli, in dem er nie hatte Probe liegen dürfen.

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Morgens, als ich erwachte, saß Paula auf der Bettkante und starrte mich an: "Ich habe die Regel." Ich versuchte, möglichst verwirrt und unausgeschlafen zu wirken: "Ja? Und?" Paula zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es auch nicht. Ich muss zurück nach Wien. Allein."

Ich lag noch immer auf dem Rücken, starrte auf die Decke und zeigte mit dem Finger auf einen kleinen Wasserfleck, den ich entdeckt hatte: "Ich bleibe hier liegen, ich verlasse das Bett nicht, bis du mich wieder liebst."

Zum ersten Mal sprach sie von ihrem Mann, den sie drei Jahre zuvor verlassen hatte, mit dem sie aber noch verheiratet war. Sie hatte ihn schon öfter erwähnt. Es schmerzte immer ein wenig, seinen Vornamen zu hören, einen Namen, den ich bis dahin immer gemocht hatte, der mir aber missfiel, seit ich Paula kannte. Diesmal aber erzählte Paula von ihrem Mann, von ihrer gemeinsamen Reise durch Südfrankreich, auf der sie schwanger gewesen war und das Kind verloren hatte. Die beiden hatten die Reise damals gemacht, weil sie zu einer Hochzeit eingeladen worden waren, waren aber schon eine Woche davor angereist. Am Abend der Hochzeit kehrte Paula aus dem Krankenhaus zurück. Ihr Mann, der Mann mit dem schönen hässlichen Namen, erwartete sie im Hotelzimmer. Paula ging zu Bett, während er seinen Anzug aus dem Kleidersack nahm, sich für die Hochzeit zurecht machte und Paula im Zimmer zurückließ.

Paula verstummte. Mir fiel nichts ein, was ich darauf sagen könnte. Paula stand auf, nahm ihren Trolley und ging aus dem Zimmer. Die Tür fiel zu.

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Am Morgen des 22. August 1911 sperrte eine Putzfrau die Abstellkammer auf. Sie nahm ein paar Gegenstände mit und ging wieder, ohne die Tür abzusperren. Es war Montag, der Tag, an dem der Louvre für die Öffentlichkeit geschlossen war. Vincenzo Peruggia konnte die Kammer verlassen. Einen Arbeitsmantel hatte er mit, warf ihn über und ging in den Salon Carré. Dort konnte er unbeobachtet das Gemälde der Gioconda von der Wand nehmen. Er entfernte das Glas, drückte die Leinwand aus dem Rahmen, rollte sie ein und steckte sie unter seinen Gehrock. Den Rahmen und das Glas ließ er auf dem Absatz der Treppe stehen, unter der sich die Abstellkammer befand. Nun musste er nur noch durch die Tür nach draußen. Als ihm Handwerker entgegenkamen und öffneten, grüßte er freundlich und verschwand.

Am darauffolgenden Tag fuhr er nach Florenz und mietete ein Zimmer. Die Gioconda verstaute er in einer Kiste unter dem Bett. Er nahm sich vor, sie einmal genau zu betrachten, aber in den ersten Tagen war er zu müde. Er lag im Bett und verließ es nur einmal täglich, um auf die Toilette zu gehen und sich zu rasieren. Dann besorgte er eine Zeitung. Anfangs gab es noch Artikel über den Diebstahl.

"Die Untersuchung in Angelegenheit des aus dem Pariser Louvre verschwundenen Gemäldes Leonardo da Vincis Mona Lisa hat bisher noch nicht die geringste Spur ergeben, aufgrund welcher auch nur annähernd sich feststellen ließe, auf welche Art und Weise dieses weltberühmte Meisterwerk aus dem Museum verschwand, und in Kunstkreisen herrscht große Bestürzung, da vielfach angenommen wird, dass der Diebstahl von einem routinierten Bilderdieb herrühre, der ihn von langer Hand vorbereitete und längst mit der kostbaren Beute in Sicherheit ist."

Doch schon ein paar Tage später verstummte die Presse. Noch bin ich nicht berühmt, dachte Peruggia. Doch bald würde ohnehin die Polizei an seine Tür klopfen, so dachte er. Aber niemand klopfte an seine Tür.

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An diesem Tag stand ich nur zweimal aus dem Bett auf. Das erste Mal hängte ich das Bitte-Nicht-Stören-Schild außen an die Hotelzimmertür und holte das Briefpapier aus der Mappe. Ich begann meine Geschichte über den Diebstahl der Mona Lisa mit folgendem Satz: Der Tischlermeister Antonelli aus Varese war bekannt dafür, seinen Lehrlingen stundenlange Reden über die Hochblüte der italienischen Kultur im 15. und 16. Jahrhundert und deren nun schon Jahrhunderte andauernden Niedergang zu halten. Das zweite Mal stand ich auf, um die Kurzgeschichte in ein Kuvert zu stecken, an Paula zu adressieren und zur Rezeption zu bringen. Dann legte ich mich wieder ins Bett.

Zuerst dachte ich, Paula sei bestimmt nicht abgereist und käme bald wieder. Abends gab ich die Hoffnung auf. Es ist wirklich Unsinn, Museen und Sehenswürdigkeiten zu besuchen, dachte ich. Am besten ist es, im Hotel zu bleiben. Am besten ist es, dachte ich, gar nicht mehr aus dem Bett aufzustehen.

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