Whiskeyglas

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Ex libris

Das Schlangenmaul

Jörg Fausers Krimi in einer Neuauflage.

Jörg Fauser gilt auch noch 32 Jahre nach seinem Tod als Kultautor. Und das nicht nur bei Lesern der ersten Stunde, sondern auch bei so unterschiedlichen Autorenkollegen wie Michael Köhlmeier und Benjamin von Stuckrad-Bahre. Fauser war vor allem eins: ein Autor mit dem unbedingten Willen zu Schreiben und zu Veröffentlichen.

Bereits mit 15 Jahren brachte er erste journalistische Beiträge heraus. Stets als Underground-Literat verstanden, schaffte er mit seinem 1981 erschienen Roman "Der Schneemann" den kommerziellen Durchbruch. 1984 las der deutsche Schriftsteller auf Drängen seines Verlages beim Bachmann-Preis in Klagenfurt. Marcel Reich-Ranicki verhöhnte Jörg Fauser vor laufender Kamera.

"Er passt nicht in diesen Wettbewerb. Und man sollte einmal deutlich sagen warum. (…) Sie (Anm.: seine Literatur) ist gar nicht mal schlecht, sie gehört nur nicht hierher." Marcel Reich-Ranicki

Drei Jahre später, 1987, verunglückte Jörg Fauser tödlich bei einem Autounfall. Rund um seinen Tod entstanden Verschwörungstheorien. "Ein Krimiautor verwandelt sich in einen Krimi", kommentierte "Die Zeit". Jörg Fauser wurde zu einem Mythos. Vor kurzem wurde sein Krimi "Das Schlangenmaul" wieder neu aufgelegt.

Jörg Fauser

Jörg Fauser

DIOGENES VERLAG

Bis zum nächsten Drink

Darin erzählt Fauser schnörkellos vom ehemaligen Journalisten Heinz Harder, dem nach einer beruflichen Durststrecke auch noch das Finanzamt zu Leibe rückt. Um seine Steuerlast zu mindern, wechselt er das Metier - und gibt eine Annonce auf, in der er sich als "Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle" anbietet.

Diese verklausulierte Bezeichnung einer Tätigkeit an der Grenze zwischen investigativer Journalist und Privatdetektiv schleicht sich als lauer Running Gag durch die Handlung, ständig wird er von Gesprächspartnern gefragt, was er denn genau tue, allen voran von seiner Klientin Nora, einer vermögenden hannoverianischen Politiker-Ex-Frau, deren erwachsene Tochter Miriam verschwunden ist. Was er eigentlich tut, um Miriam zu finden, das weiß Harder meist selbst nicht so genau. Seine Gedanken kreisen jedenfalls hauptsächlich um die vergangenen journalistischen Höhenflüge und den nächsten Drink.

Seine Ermittlungen führen Harder dann prompt in das halbseidene Milieu des geteilten Berlins, in dem Prostitution, Glücksspiel, Sekten, Drogen und Korruption zusammenlaufen, und Verbindungen hinein bis in die höchsten politischen Kreise der Stadt deutlich werden. Getrieben wird Harder immer von den beiden Süchten, denen sich auch sein Erfinder Fauser nachhaltig verschrieben hat: dem Schreiben und dem Alkohol.

Die Wahrheit ist ein Phantom

Harder ist eine typische Inkarnation des Hardboiled Detective, einer Tradition die sich aus den amerikanischen Krimis von Raymond Chandler und Dashiell Hammett herschreibt. Er ist ein dubioser Ermittler, der trotz des ihn umgebenden Sumpfs seine Ideale hochhält. Dass das größte Ideal Heinz Harders ausgerechnet auf den Namen "Wahrheit" hört, wirft eine ironische Schlagseite auf diese Figur, erfährt man doch, wie er es als Journalist mit Quellen nicht so genau nahm und im Suff schon mal Reportagen erfand.

Harder ist eine Randfigur, die von der Unterwelt, in der sie ermittelt etwas abbekommt, aber nicht gänzlich von ihr kompromittiert wird. Seine Ermittlungsmethode besteht im Wesentlichen in Gesprächen, bei denen Harder Kettenraucht und Wodka trinkt. Ausnahmslos jeder ist verdächtig, egal ob es sich um seine Auftraggeberin, Informanten oder eine Puffmutter handelt. Letztendlich bringt ihn seine investigative Hartnäckigkeit genretypisch in größte Gefahr.

Literarische Nagelprobe

Jede Neuauflage wirft die Frage auf, ob ein Text mit dem zeitlichen Abstand noch funktioniert. Anders als beim autobiografisch fundierten Roman "Rohstoff", der um Fausers Heroinsucht und schriftstellerische Anfänge kreist, erweist sich diese Frage beim Krimi "Das Schlangenmaul" durchaus als literarische Nagelprobe.

Denn nicht nur seine Schnoddrigkeit, die Machosprüche, der allgegenwärtige Wodka, das Selbstmitleid und Melancholie lassen Heinz Harder im zeitlichen Abstand mehr als Klischee denn als coolen Außenseiter wirken, es sind die kriminalistischen Methoden, die diesen handlungsgetriebenen Roman durch die Brille des hochtechnisierten Informationszeitalters antiquiert erscheinen lassen.

Überzeugungstat für Fans

All die mühsamen, auf psychologischen Druck und Härte aufgebauten Gespräche und die Archivrecherchen geben Harder Stück für Stück Informationen an die Hand, für die er mit ein paar Internetrecherchen nicht die endlosen durchzechten Tage und Nächte der Handlung, sondern vielleicht nur Stunden aufgewendet hätte.

Es ist sein Szenarium der Desinformation und Täuschung, das Fauser in "Das Schlangenmaul" entwirft. Dieses hatte Mitte der 1980er Jahre im durch die Mauer geteilten Berlin eine beklemmende Stimmigkeit, die gut mit Harders schmerzvoller Selbstzerstörung korrespondierte. Genau dieses Setting hat aber den Krimi schlecht altern lassen und lässt seine Lektüre zur Überzeugungstat für Jörg-Fauser-Fans werden.

Service

Jörg Fauser, "Das Schlangenmaul", Diogenes Verlag
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