Seefestung Patarei

ORF/KRISTINA PFOSER

Opfer des Kommunismus

Tallinn, Patarei - Museumspläne für ein Gefängnis

In Estland macht man sich an ein weiteres Kapitel der Aufarbeitung kommunistischer Vergangenheit. Zum Okkupationsmuseum am Rand der Altstadt von Tallinn, das die sowjetische und nazi-deutsche Besatzung in einem modernen schwebend leichte Glasgehäuse thematisiert, soll jetzt ein historischer Ort zum Schauplatz der Geschichtsreflexion werden.

Die ehemalige Seefestung Patarei, im 20. Jahrhundert eines der gefürchtetsten Gefängnisse. 1991 fanden hier die letzten Hinrichtungen statt, erst 2002 wurde es geschlossen, jetzt soll dort ein "Museum für die Opfer des Kommunismus" errichtet werden. Als erster Schritt wurde in Patarei vor kurzem eine Ausstellung eröffnet.

Morgenjournal | 15 07 2019

Kristina Pfoser

Ort des Schreckens

Die Strandpromenade von Tallinn endet an einer bröckelnden Betonmauer mit Stacheldraht. Geht man weiter durch ein verrostetes Tor, steht man vor Patarei. Der riesige dreieckige Komplex auf einer Fläche von vier Hektar wurde 1840 unter Zar Nikolaus als Marinefestung erbaut, an die 4000 Soldaten waren hier bis zur Februarrevolution untergebracht, viele erkrankten an Tuberkulose.

Installation in einer Gefängniszelle

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Installation in einer Gefängniszelle

Im Estnischen Unabhängigkeitskrieg wurde Patarei 1919 zum Gefängnis und das blieb es mehr als 80 Jahre lang über alle politischen Umbrüche hinweg. Sergei Metlev vom "Estonian Institute of Historical Memory" führt durch das heute teilweise halb verfallene Gebäude, es ist düster, feucht und kalt. Im ersten Stock öffnet er eine vergitterte Tür.

Ort der Erinnerung

"In dieser winzigen Einzelzelle waren sechs oder sieben Leute untergebracht. Es ist unvorstellbar. Sie mussten einen Stundenplan machen, wann wer schläft, weil es gab nur ein Bett", weiß Sergei Metlev. Mit einer Gruppe von 15 Kuratoren und jungen Künstlern ist er angetreten, aus dem Ort des Schreckens einen Ort der Erinnerung zu machen. Und dabei setzte man nicht auf eine reißerische Reality-Horror-Inszenierung, sondern auf langjährige Recherchen, Berichte von Zeitzeugen und ehemaligen Gefangenen und auf sensible Interventionen an Ort und Stelle - mit Textinformationen, Sound- und Videoinstallationen.

Ein Spiegel europäischer Geschichte

"Die Botschaft von Patarei ist für uns, dass es keinen Unterschied macht, welches totalitäre Regime an der Macht ist", erklärt Sergei Metlev, "die Schicksale und Erinnerungen, die mit diesem Ort verknüpft sind, machen das deutlich. Während der eineinhalb Jahre der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurden hier im Hof 200 estnische Juden erschossen und 1943/44 haben die Nazis auch französische Juden hierhergebracht, die wenigstens haben überlebt. Auch Letten, Polen, Ukrainer, Finnen, Deutsche - sie alle waren hier Opfer dieser Regime. In Paterei spiegelt sich die Geschichte von ganz Europa."

Fenster der Seefestung Patarei

In der Seefestung Patarei soll ein Museum für die Opfer des Kommunismus errichtet werden.

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Erinnerungskonflikte

Auch und vor allem die sowjetische Geschichte, ein heikles Thema. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Estlands gibt es nach wie vor Konflikte um die Erinnerung an die Sowjetzeit, Konflikte zwischen Esten und der russischen Minderheit, die knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellt.

Wenn Russen in die Ausstellung kommen, erzählt Sergei Metlev, begegne er immer wieder Skepsis. "Ich höre da immer wieder: Diese Ausstellung ist gegen Russland. Und dann versuche ich zu erklären: Kommunismus und Totalitarismus ist nicht dasselbe wie russische Kultur und russische Sprache. Ich bin auch Russe und die Ausstellung richtet sich auch nicht gegen mich. Es ist so wichtig für das Vereinte Europa, trotz unterschiedlicher Erfahrungen eine gesellschaftliche Übereinkunft über dieses Kapitel der Vergangenheit zu erzielen."

Die Republik Estland sucht jetzt einen Investor für Patarei, mit dem Plan ein "Internationales Museum für die Opfer des Kommunismus" zu errichten. Geschätzte Renovierungskosten: 100 Millionen Euro.