
AP/WILFREDO LEE
Migrantensaga
"Dieser weite Weg" von Isabel Allende
Heute feiert die chilenische Bestsellerautorin Isabel Allende, die mit dem Roman "Geisterhaus" einen internationalen Bestseller landete, ihren 77. Geburtstag. Fast zeitgleich ist die deutsche Übersetzung ihres 24. Romans erschienen: "Dieser weite Weg" schildert die Flucht von Republikanern am Ende des spanischen Bürgerkriegs. Dass rund 2.000 von ihnen in einem Flüchtlingsschiff nach Chile ausreisen konnten, um dort ein neues Leben zu beginnen, ist eine historisch belegte Episode.
2. September 2019, 02:00
Mittagsjournal | 02 08 2019
Pablo Neruda nannte Chile einmal das "schmale Blütenblatt aus Meer und Wein und Schnee". Isabel Allende gab ihrem neuen Roman aus gutem Grund den Titel "Das Blütenblatt aus Meer", denn ohne Neruda hätte es weder die Aufnahme von gut 2.000 spanischen Flüchtlingen am Ende des Bürgerkriegs, noch den neuen Roman Allendes gegeben.
"Wir leben in einer Welt, in der die Zahl der Flüchtlinge stetig zunehmen wird"
Isabel Allende
Auf Deutsch trägt das Buch den Titel "Dieser weite Weg". Es nimmt den Spanischen Bürgerkrieg als Ausgangspunkt für eine noch heute aktuelle Migrantensaga. Unter den zehntausenden Spaniern, die vor den Franco-Truppen ins Ausland flüchteten, befindet sich auch ein junges Paar, das in einem Auffanglager in Frankreich landet. Die Biografie der beiden - er ist Medizinstudent, sie Pianistin - verfolgt Isabel Allende auf 380 Seiten und über sechs Jahrzehnte und liefert ganz nebenbei auch eine politische Chronik Chiles.
Neruda - Sonderkonsul für spanische Flüchtlinge
Wie das Paar ans andere Ende der Welt gelangte, ist eine wahre Geschichte, die mit Pablo Neruda beginnt. Er hatte sich nach der Ermordung seines Freundes Federico Garcia Lorca zum Anwalt der spanischen Republik gemacht. 1937 wollte er mit dem Gedichtband "Spanien im Herzen" auf das Schicksal der Republikaner aufmerksam machen. Zwei Jahre später wurde Neruda zum Sonderkonsul für die spanischen Flüchtlinge ernannt.
Von Paris aus organisierte er die Hilfsaktion "Winnipeg". Auf dem gleichnamigen Dampfer brachte er über 2.000 Spanier nach Chile. Isabel Allende: "Die Passagiere nannten die 'Winnipeg' das 'Schiff der Hoffnung', weil sie verzweifelt waren. Sie entkamen aus einem Land in Trümmern und aus französischen Auffanglagern und retteten sich vor dem drohenden Weltkrieg ans andere Ende der Welt."
Authentische Note
Allende befragte Zeitzeugen, ließ sich deren Flucht aus Spanien schildern, beschreibt die Zustände in den Lagern in Frankreich und die Überfahrt nach Amerika, wo die Einwanderer im Andenstaat mit offenen Armen empfangen wurden. "In Chile wurden sie nicht ausgegrenzt, ins Ghetto gesperrt, sondern in die Gesellschaft aufgenommen und haben ihren Teil zum Wohlstand beigetragen."
Die 1942 geborene Autorin ist Tochter eines Diplomaten. Ihre Jugend verbrachte Allende in Europa und dem Nahen Osten, sie besuchte mehrere internationalen Schulen. Ihre Karriere als Fernsehjournalistin, Moderatorin von Talkshows und Redakteurin der ersten feministischen Zeitschrift Chiles ist von dieser Biografie geprägt. Ihre damaligen Forderungen haben sich bis heute nicht erfüllt: "Ich habe vom Konsum, der Gewalt und der Machtausübung genug. Die Machos langweilen mich."
"Es ist Zeit, dass die Frauen gleichberechtigt Verantwortung in der Welt übernehmen"
Isabel Allende
Während des Militärputschs unter General Pinochet wurde der Cousin ihres Vaters, Präsident Salvador Allende 1973 ermordet. Dass auch der sozialistische Staatschef im Roman als Schachpartner des inzwischen zum Arzt promovierten Victor auftaucht und von diesem wegen seiner bourgeoisen Allüren und Maßanzüge belächelt wird, gibt dem Roman eine authentische Note.
Exil in Venezuela
Isabel Allende versteht ihr Handwerk, mischt persönlich Schicksale, Liebesgeschichten mit politischen Überzeugungen. Dass ihre Romane in die Kategorie Unterhaltung fallen sei kein Makel, meint sie, für den sie sich entschuldigen müsste.
Zwei Jahre nach dem Militärputsch machte auch die Autorin ihre Erfahrungen mit dem Exil. Sie wanderte mit der Familie nach Venezuela aus, wo sie 13 Jahre als Journalistin tätig war und in dieser Zeit auch den Erstlingsroman "Das Geisterhaus" schrieb.
Der in Form eines Briefes an den verstorbenen Großvater begonnene Roman führt Kindheitserinnerungen, esoterische Erfahrungen und politische Ereignisse zusammen. Der Roman, in dem Magie und Realismus Lateinamerikas verbunden sind, wurde zum Welterfolg.
Privatstiftung für Migrantinnen
Nächste, letzte Station des Wanderlebens von Isabel Allende ist Kalifornien. Hier erhielt sie 2003 die US-Staatsbürgerschaft. Als Bestseller-Autorin mit rund 70 Millionen verkauften Exemplaren gehört sie zu den privilegierten Zuwanderern. Mit ihrer Privatstiftung setzt sie sich für Migrantinnen und deren Kinder aus Lateinamerika ein. Die aktuelle Lage der Einwanderer und die Maßnahmen der Regierung Trump kritisiert Allende.
"Das globale Problem ist zum politischen Thema Nummer eins geworden, das sich rechte Nationalisten und Populisten mit Botschaften gegen die Einwanderer zunutze machen. Aber wir leben in einer Welt, in der die Zahl der Flüchtlinge stetig zunehmen wird."
Frisch verheiratet
Nach der Trennung von ihrem zweiten Ehemann lebte Allende alleine. Sie hatte ein Holzhaus am Ufer eines Teichs südlich von San Francisco gekauft, für sie "die Strandhütte". Dann lernte sie den Anwalt Roger Cukras kennen. Er schrieb ihr mehrere E-Mails und weckte das Interesse der Adressatin, die einem persönlichen Treffen schließlich zustimmte. Vor einem Monat haben die beiden geheiratet.
"Ich kaufte mir eine kleine Strandhütte, in der ich alleine mit meinem Hund leben wollte. Plötzlich erschien dieser Herr in meinem Leben: Er verschenkte alles, was er hatte und brachte nur zwei Fahrräder und seine Bekleidung mit."
Altersweise
Die Altersweisheit diktiert der 77-Jährigen Distanz zu den Trivialitäten des Alltags. In der neuen Beziehung will sie über die Eigenheiten des Partners großzügig hinwegsehen - nimmt sie sich jedenfalls vor. Kein Tag der ihr "noch verbleibenden fünf oder sechs Jahre", sinniert die Autorin, soll durch Streit über herumliegende Schuhe verpatzt werden.
Isabel Allende verspricht den Fans, "weiterzuschreiben, so lange ich noch etwas zu erzählen habe". Jeden neuen Roman begann sie immer am 8. Jänner, dem Todestag des Großvaters. (So begann sie vor 39 Jahren die Arbeit zum späteren Weltbestseller "Das Geisterhaus"). Isabel Allende will sich überraschen lassen, welcher Plot ihr am 8. Jänner 2020 in den Sinn kommen wird.
Service
Isabel Allende, "Dieser weite Weg", aus dem Spanischen von Svenja Becker, Suhrkamp
Originaltitel: "Largo pétalo de mar" (Vintage Espanol)