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Roman
"Die Tauben von Brünn" von Bettina Balaka
Betrug in Zeiten des Frühkapitalismus - darum geht es in dem kürzlich erschienen Roman "Die Tauben von Brünn". Begangen wird dieser Betrug vom reichen Großhändler und Bankier Johann Carl von Sothen und der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Taubenzüchterin Berta Hüttler. Über Jahrzehnte des industriellen und gesellschaftlichen Wandels bleiben Leben und Schicksal der beiden im Wien des 19. Jahrhunderts verknüpft.
29. September 2019, 02:00
Morgenjournal | 29 08 2019
Gestaltung: Julia Sahlender
Baron Johann Karl von Sothen galt als Ausbeuter seiner Arbeiter und Angestellten. Der große Unmut über ihn manifestierte sich in folgendem Spruch, den Unbekannte nach seiner Beisetzung angeblich auf sein Grab geschrieben haben: "Hier, in dieser schönen Gruft, liegt der allergrößte Schuft."
Für die Autorin Bettina Balaka war Baron von Sothen, der im Wien des 19. Jahrhunderts tatsächlich gelebt hat, ein Protokapitalist, "einer von diesen ganz frühen Menschen, die sich mit absoluter Rücksichtslosigkeit nach oben gearbeitet haben, für die Geld und alles was damit verbunden ist, der einzige Handlungsantrieb war".
Kapitalismus als Grundstein für Ausbeutung
Für Balaka ist es auch in der Gegenwart von Bedeutung zu wissen, wie sich der Kapitalismus entwickelt hat und mit welchen Charaktereigenschaften erfolgreiche Kapitalisten immer schon ausgestattet waren. Die Auseinandersetzung mit solchen Charakteren und den ungerechten Systemen, in denen sie erfolgreich sind, ist für die Autorin deshalb auch eine Selbstverständlichkeit.
Sie würde sich selbst als zutiefst politischen Menschen bezeichnen, soziale relevante Themen interessieren sie daher immens. Die Ereignisse des 19. Jahrhunderts, die sie in ihrem Buch beschreibt, würden aber über soziale Aspekte hinausgehen: "Wir haben jetzt gerade eine Umweltkatastrophe globalen Ausmaßes und auch das hat damals begonnen mit dieser rücksichtslosen Ausbeutung, nicht nur von Menschen, sondern auch der gesamten Natur", meint die Autorin.
DEUTICKE
Opfer der Industrialisierung
In "Die Tauben von Brünn", dessen Handlung angelehnt an Sothens Leben einige Jahrzehnte umspannt, beschreibt die Autorin den Wandel in der Industrialisierung, der Gesellschaft und dem Wiener Stadtbild detail- und facettenreich und macht die Entwicklungen damit nahezu greifbar. Opfer dieses beschriebenen Wandels ist im Buch neben der Umwelt und den namensgebenden Tauben vor allem eine: die Brieftaubenzüchterin Berta Hüttler.
Nach einer entbehrungsreichen Kindheit und dem Verlust beider Elternteile wird auch sie Opfer der Ausbeutung des Baron von Sothen. Zunächst noch von der vermeintlichen Güte des noblen Mannes angetan, verliebt sie sich sogar in ihn. Nur um wenig später von ihm erpresst zu werden und ihm unter Einsatz ihrer Brieftauben bei einem großangelegten Lotteriebetrug helfen zu müssen. Am Ende geht die Situation für die junge Frau dennoch glimpflich aus, was für Bettina Balaka sehr wichtig war, denn wenn Frauen in der Literatur lediglich Opfer sind, geht das der Autorin "sehr gegen den Strich".
Sie selbst möchte aber im Gegenzug auch nicht immer weibliche Charaktere schaffen, die immer nur stark und erfolgreich sind. Berta Hüttler habe sie deswegen "entsprechend leiden lassen, aber ihr am Schluss ein halbwegs glückliches Ende gegönnt", so Bettina Balaka. Anders hat hingegen das historische Ende für Baron von Sothen ausgesehen, waren doch Polizeiberichten von 1881 zufolge rund 20.000 Menschen bei seinem Begräbnis um seinen Tod zu feiern.
Service
Bettina Balaka, "Die Tauben von Brünn", Roman, Deuticke
Am 29. August 2019 liest Bettina Balaka aus ihrem aktuellen Roman "Die Tauben von Brünn" bei der Abschlussveranstaltung des Literaturfestivals O-Töne im Wiener Museumsquartier.
Text: Julia Sahlener