Syrische Soldaten in Ghouta

APA/AFP/LOUAI BESHARA

Praxis

Syrien - Kampfplatz der Welt

Einige der größten Armeen der Welt führen in Syrien ihre Stellvertreterkriege, meint der vatikanische Nuntius in Damaskus. Unter den UNO-Sanktionen leide allerdings die Zivilbevölkerung.

Damaskus, die Hauptstadt Syriens, pulsiert. Viel Verkehr, kaum ein Auto ist nicht beschädigt, viele kleine Lebensmittelläden und vor allem Bäckereien prägen das Stadtbild, mit arabischen Köstlichkeiten, von Fladenbrot bis Baklava. Checkpoints mit Soldaten der regulären syrischen Armee überall. Die Soldaten sind höflich. Vielleicht auch, weil eine Mitarbeiterin des sogenannten Informationsministerium mit einem entsprechenden Schreiben in unserem Bus ständig anwesend ist.

Umayyaden-Moschee in Damaskus

Umayyaden-Moschee in Damaskus

ORF/ROBERTO TALOTTA

"Hier in Syrien können Muslime und Christen friedlich miteinander leben", betont Religionsminister Mohammed Abdul Sattar.

Nuntius Mario Zenari

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Nuntius Mario Zenari

Stellvertreterkriege

Es sei ein Hurricane, ein Tornado, der über Syrien hinweggefegt ist, sagt Nuntius Mario Zenari, der Vertreter des Vatikan in Damaskus. "Denken wir an den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern und Iranern, die Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien. Denken wir an die Rolle der Türkei. Und hier, in Syrien, finden all diese Stellvertreterkriege statt", erklärt Nuntius Mario Zenari im Ö1 Interview. "Man bombardiert nicht den Feind, man bombardiert Syrien. Einige der größten Armeen der Welt führen hier in Syrien Krieg. Die USA, Russland. Wie soll dieses Land aus diesem Feuersturm jemals herauskommen?"

Er ist der Ansicht, nur der UNO-Sicherheitsrat könne dem Land im Nahen Osten wieder Frieden bringen, indem die Sanktionen aufgehoben werden und die Kriegsparteien ihre Aktivitäten einstellen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Seit Montag erfolgen Angriffe der Truppen von Präsident Baschar al-Assad auf Idlib. Diese Stadt im Nordosten Syriens ist das letzte Refugium der Terroristen des sogenannten Islamischen Staates. Auf Assads Seite: Der Iran und Russland. Auf der Gegenseite: Saudi-Arabien, wo jetzt die Ölfelder brennen, und die USA. Dazwischen: islamistische Gruppen wie Al Nusra, der IS und andere. Dazu noch Türken, Kurden und Israel.

Vor der Melkitenkirche

ORF/ROBERTO TALOTTA

Vor der Melkitenkirche

Christen verehren Assad

Die Initiative Christlicher Orient (ICO) setzt sich seit rund 30 Jahren für die Christinnen und Christen im Nahen Osten ein, die zahlreichen verschiedenen Konfessionen angehören: melkitische griechisch-orthodoxe Christen, syrisch-orthodoxe, armenisch-orthodoxe, römische Katholiken, Chaldäer, Maroniten. Unter Assad Vater und auch Sohn hatten und haben Christen eigentlich nichts zu befürchten, sofern sie sich angepasst geben – und nicht stören. In den meisten Kirchenräumlichkeiten, egal ob Kloster, Pfarre oder Sakristei hängt ein Bild des Präsidenten. In den Räumen der melkitischen Kirche etwa hängt Assads Antlitz in der Mitte, links der Patriarch, rechts der Papst.

Zweifelsohne sei Assads Vater ein Despot und Folterer gewesen. Und der Sohn nimmt auch wenig Rücksicht auf die eigene Bevölkerung. Doch die Christen würden verschont und stünden dem Präsidenten entsprechend positiv gegenüber. Romana Kugler, Geschäftsführerin der "Initiative Christlicher Orient" meint, in der internationalen Berichterstattung stünde der politische Aspekt im Vordergrund und die "Vielfalt der Minderheiten und die einzelnen Schicksale und Themen aus der bunten Vielfalt der kirchlichen Gruppierungen, die es im Orient gibt" hätten angesichts dessen oft zu wenig Möglichkeit von ihren konkreten Erfahrungen zu berichten.

Für die christliche Minderheit sind radikale Gruppen wie der selbsternannte Islamische Staat oder die Al Nusra-Front die größere Gefahr. Es geht nach Homs, in die am meisten umkämpfte Stadt Syriens. Das dortige Jesuitenkloster: Eine Eingangstür aus Metall mit Einschusslöchern. Ein kleiner Garten mit einem Grab. Hier liegt Frans van der Lugt begraben. Der Holländer war der einzige Jesuit, der noch in Homs geblieben war und sich während des Krieges für die Bevölkerung engagiert hat. Am 7. April 2014 wurde er erschossen. Angeblich von der Al Nusra-Front.

Zerschossener Klostermistkübel

ORF/ROBERTO TALOTTA

Zerschossener Klostermistkübel

Vergessenes Homs

Selwanos Boutros Alnemeh, syrisch-orthodoxer Bischof von Homs, erinnert sich, wie es begonnen hatte: "Homs war das Zentrum der Revolution. Es begann am Palmsonntag 2011. Man bereitete sich auf die Karwoche vor, alle waren in der Kirche. Plötzlich fielen Schüsse, wir blieben vier Stunden in der Kirche. Dann kam die Nachricht der syrischen Armee, dass sich die Lage beruhigt hätte und wir wieder raus könnten. Wir hatten zwei Jahre lang keinen Strom, kein Wasser. Bis 2012 wollten die Menschen ihre Wohnungen nicht mehr verlassen, danach haben sich viele entschieden, überhaupt wegzugehen."

Der Bischof meint, die UN-Sanktionen gegen Assad und das Land sollten aufgehoben werden, denn darunter leide nur die Bevölkerung. Der militärische Krieg sei vorbei, jetzt müsse der wirtschaftliche beendet werden. "Die meisten Hilfsorganisationen konzentrieren sich auf Aleppo und Damaskus. Homs wird vergessen", merkt swe syrisch-orthodoxe Bischof Selwanos Boutros Alnemeh kritisch an: "Wir hätten gerne auch ein paar Brosamen. 1.500 Häuser sind wieder aufgebaut, das ist aber ziemlich wenig."

Vampir

ORF/ROBERTO TALOTTA

Hamidiye ist ein zerstörter Stadtteil von Homs. Hochhäuser lehnen schief wie Betrunkene an einer Laterne, ein Checkpoint-Soldat verlangt nach unseren Papieren. Am Boden liegen plattgedrückte Hülsen von Patronen von Maschinengewehren. In den staubigen Trümmern finden sich Schuhe und Bücher, darunter ein Groschenroman mit einem Vampir auf der Titelseite. Eine einsame Frau kommt mit einem mit Habseligkeiten vollbeladenen Kinderwagen vorbei und will uns Schokolade verkaufen.

Ärztemangel in Aleppo

Ein ähnliches Bild der Zerstörung bietet sich im Zentrum von Aleppo. Alles liegt in Trümmern. Wir besuchen das große Universitätsspital von Aleppo, das staatliche Krankenhaus. Viele Soldaten wuseln herum, abbruchreife Gebäudeteile alternieren mit neu renovierten Marmorböden. Mehr als die Hälfte der Ärzte hier seien weg, erzählt der Direktor des Krankenhauses, Maher Al-Araj. Als Arzt habe er hier früher 1.200 Dollar verdient, sagt er, jetzt nur noch 100 Dollar für das Versorgen der Verletzten, die meist mit Verbrennungen von Mörsern und Raketen hierher kämen.

In manchen Stadtvierteln von Aleppo sind die Stadt und die Welt noch in Ordnung, wo die unversehrte und beleuchtete Zitadelle herunterschaut und wo betuchte Familien Eis schlecken, da gibt es auch Kinder, die Rosen verkaufen müssen. Und ein Bub, der die Blumen anbietet, hat ein verbranntes Gesicht.