RSO Wien

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Diagonal

Chaos und Ordnung

"Diagonal" über die Prinzipien eines funktionierenden Orchesters

Einem Orchester auf der Bühne sieht man nicht unbedingt an, welch diffiziles und raffiniertes Hierarchiesystem das Gelingen des Zusammenspiels gewährleistet. Mit Ausnahme vielleicht des Konzertmeisters oder der Konzertmeisterin, deren privilegierte Position sich schon im ritualisierten Händedruck mit dem Dirigenten, der Dirigentin vor Konzertbeginn zeigt, sind die vielen weiteren Ebenen einem Blick von außen nicht ohne Weiteres zugänglich.

Kleinteilige Hierarchiesysteme

Doch jede einzelne Instrumentengruppe verfügt über ein kleinteiliges Hierarchiesystem. Die Bratschen als Beispiel für alle Streichergruppen: Mit Solobratsche, Solobratsche-Stellvertretung, Stimmführung und Stimmführungsstellvertretung fungieren vier Musiker/innen als Leitungsorgan für alle anderen, die dann Tuttispieler heißen.

Aber auch die beispielsweise vier Trompeten oder vier Klarinetten sind hierarchisch in sich geordnet. Ein intrikates Wechselspiel: "Diagonal" untersucht den Klangkörper Orchester zwischen der Individualität seiner Mitglieder und der Disziplin innerhalb seiner Hierarchie - eine musikalisch-gesellschaftshistorische Erkundung aus Anlass des 50. Geburtstags des RSO Wien.

Ein intrikates Wechselspiel

Als wohlgeordnete, hierarchisch organisierte Einheit aufzutreten ist eine Seite eines Orchesters, aber eben nur eine. Der ebenso notwendige Gegenpol hat unmittelbar mit dem Eigensinn jedes einzelnen Individuums im Klangkörper Orchester zu tun. Ständig gilt es für jede und jeden Musizierende/n, die Balance zu halten zwischen eingebrachter eigener Musikalität und Entscheidungsfindung einerseits und dem Einordnen in die vorgegebene Hierarchie des Gesamtgefüges andererseits.

Die militärische Konnotation der etwas provokanten Fragestellung "Napoleons Orchester?" ist kein Zufall.

Militär und Orchestermusik haben sich seit dem 18. Jahrhundert parallel entwickelt.

Diszipliniert organisierte Heere entstehen und wachsen zu Napoleons Zeit zu riesenhaften Formationen an, während aus kleineren musizierenden Ensembles an europäischen Höfen und in Kirchen die immer größer werdenden und von einem Dirigenten geleiteten Symphonieorchester entstehen. Ein raffiniertes Wechselspiel aus hierarchischen Strukturen und autonomen Entscheidungen der jeweiligen Sub-Chefs - sei es der Konzertmeister oder der Offizier - innerhalb der Vorgaben durch einen Dirigenten oder General entscheidet über Gelingen oder Nichtgelingen.

Napoleonische Organisationsstruktur

So gesehen lässt sich der Aufbau des heutigen, seit circa 200 Jahren nach nur wenig veränderten Prinzipien funktionierenden Orchesters ironischerweise als letzte Manifestation der Napoleonischen Organisationsstruktur in unserer heutigen Gesellschaft verstehen.

Es ist zugleich bis heute ein beliebter Topos in Fachbüchern zu den Themen Management und Führungskraft, das harmonische Zusammenspiel eines Orchesters als Inbild gelungener Kooperation und Führungsstärke zu preisen. Das ist aber gesellschaftlich gesehen eigentlich seltsam, wenn man sich vor Augen führt, dass die Sozialordnung eines Orchesters nicht gerade das Ebenbild einer aufgeklärten oder gar durch und durch demokratischen Gesellschaft ist, sondern eher das Abbild der Sozialordnung in Napoleons Armee. "Diagonal" blickt hinter die Kulissen des Klangkörpers Orcheser.

Gestaltung

  • Christian Scheib

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