ORF/JOSEPH SCHIMMER
Radiokolleg
Gefühle
Sie sind launisch, flatterhaft und schwer zu begreifen. Und sie melden sich immer dann zu Wort, wenn weder Zeit noch Raum für sie da ist. Gefühle begleiten unser Leben. Manchmal schwingen sie uns ein wie eine harmonische Grundmelodie. Aber sie können auch stören, schrill und dissonant klingen.
3. November 2019, 02:00
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Wenn uns bewusst wird, dass sie unser Denken und Handeln bestimmen, versuchen wir, sie zu kontrollieren. Gelingt das nicht, ignorieren wir sie. Wir schieben sie weg und sind erstaunt, wenn unser Körper von unerklärlichen Beschwerden geplagt wird. Doch surfen wir auf den Gefühlen, dann tragen sie uns und schenken uns Sternstunden mit anderen.
Gefühle markieren und bewerten menschliches Verhalten. Sie sind angeborene Überlebensstrategien, die wir im Kontakt mit den ersten Bezugspersonen ausdifferenzieren. Angst warnt vor einer Gefahr, Ekel hindert daran, etwas Verdorbenes zu essen. Zorn alarmiert und signalisiert der Umwelt, dass ein Hungergefühl bedrohlich wird. Wenn aber eine Zärtlichkeit besonders lustvoll erlebt wird, löst sie Freude aus.
Gefühle helfen uns, auf sehr schnelle Art und Weise, in einer Situation Position zu beziehen.
In der Beziehung zu anderen lernen Menschen, affektive Reaktionen zu modulieren und mit neuen Erfahrungen anzureichern. Der Weg dorthin führt über die Eltern. Sie beantworten die Äußerungen eines Säuglings und benennen diese. So lernt ein Kind, seine Gefühle zu erkennen und zu regulieren. Damit entwickelt es eine Vorstellung seines Selbst.
Säuglinge erwerben ihr Wissen um Gefühle im körperlichen Kontakt. Wenn der Vater das Neugeborene im Arm wiegt und tröstet, dann erlebt das Kind Geborgenheit und Nähe durch die Berührung. Stillt die Mutter den Säugling, werden Lust und Sättigung eins in der warmen mütterlichen Brust.
Gefühle ermöglichen den Menschen sich sozial auszutauschen und zu kommunizieren.
APA/DPA/ROLF VENNENBERND
Mit ihrem Körper treten Menschen in Kontakt zu anderen. Ihr Körper signalisiert aber auch, wie sie sich fühlen. Denn Emotionen drücken sich im Körper aus. Zorn steigert die Muskelspannung, das Gesicht rötet sich, die Hände schwitzen. Freude lässt das Herz schneller schlagen und die Pupillen sich weiten. Unbewusst lesen wir die Empfindungen eines anderen und stimmen unser Verhalten darauf ab. Und jede neue Erfahrung wird auch als körperliches Ereignis in unserem Gehirn abgespeichert.
Menschen trachten danach, ihre Gefühle in Balance zu halten. Diese Fähigkeit entwickeln sie in den ersten Lebensmonaten in der Beziehung zu den Eltern. Doch manchmal treten schwierige Lebensereignisse auf, die Menschen aus dem Gleichgewicht bringen, die Angstzustände oder Depressionen auslösen.
Um diese bedrohlichen Gefühle zu regulieren, wählen Menschen unterschiedliche Strategien. Die einen treiben Sport, hören Musik oder suchen das Gespräch mit Vertrauten. Andere entscheiden sich für Drogen. Kurzfristig verschaffen diese Erleichterung. Doch die Frage, welche Botschaften in dem belastenden Gefühl stecken, lässt sich mit Drogen nicht beantworten. Und der Weg aus einer Sucht ist steinig.
Wenn ich Gefühle zu vermeiden versuche, dann bleiben sie eher länger und stören mit allen möglichen Symptomen und Signalen.
Wenn Schauspieler/innen einen Text szenisch bearbeiten, dann steht im Fokus ihrer Aufmerksamkeit das Gefühl der Bühnenfigur. Damit erwecken sie die Rolle zum Leben. Gefühle wachzurufen, zu modulieren, in sie hinein- und wieder herauszuspringen, das ist Teil des Schauspielerberufes.
Den Kontakt zum Publikum stellen die Akteur/innen durch Emotionen her. Denn Gefühle sprechen einen anderen unmittelbar an. Sie aktivieren die Spiegelneuronen des Empfängers und lösen bei diesem eine vergleichbare Empfindung aus. Sie werden zum direkten Weg, sich einem anderen mitzuteilen. Sie sind die Grundbausteine im Repertoire menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten.