Bischof auf dem Sankt Petersplatz

AP/ANDREW MEDICHINI

Praxis

Sodom - Doppelmoral im Vatikan

In der biblischen Erzählung zerstört Gott diese Stadt, wegen des sündigen Verhaltens ihrer Bewohner. Ein doppeldeutiger Titel also, den der französische Autor Frédéric Martel seinem Buch über den Vatikan und die dort weit verbreitete Homosexualität gegeben hat.

Laut dem Autor würde der Vatikan seit den 1970er Jahren von einer Gemeinschaft von Männern kontrolliert, die zutiefst homophobe Positionen vertreten, gleichzeitig aber selbst homosexuell seien. Die unterdrückte Homosexualität führe zu Machtmissbrauch in der Kirche.

"Wenn man in der Kirche arbeitet, merkt man: Sie lügen."

Der Journalist Martel hat vier Jahre lang für dieses Buch recherchiert. Er hat mit hunderten Informanten gesprochen, darunter Kardinäle, Bischöfe, Nuntien und sogar Prostituierte. Bei seinen Recherchen im Vatikan und den Bistümern in aller Welt ist der französische Autor auf ein System der Doppelmoral und Heuchelei gestoßen.

Buchumschlag

S. FISCHER VERLAG

"Die Kirche ist die Organisation, die mehr über die Wahrheit spricht als jede andere Organisation der Welt. Aber wenn man in der Kirche arbeitet, merkt man: Sie lügen. Bei allem - nicht nur was die Keuschheit, den Zölibat, die Homosexualität betrifft. Sie lügen die ganze Zeit."

80 Prozent der Bewohner im Vatikan seien homosexuell, schätzt der ehemalige Priester Francesco Lepore im Gespräch mit Martel. Andere halten sogar 90 Prozent für homosexuell - wieder andere bezeichnen mindestens die Hälfte als homosexuell.

Der Autor ist selbst homosexuell und spricht von der stillen Mehrheit. Er will aufdecken, warum die katholische Kirche schon so lange homosexuelle Männer angezogen, rekrutiert und befördert hat. Die jüngeren Skandale der Kirche bringt Martel allesamt mit der systemischen Doppelmoral im Vatikan in Verbindung. Von diesem Problem weiß auch der Papst. In zahlreichen Messen und in Interviews hat Franziskus die Heuchelei von katholischen Priestern verurteilt, wie zum Beispiel bei einer Messe in seinem Vatikandomizil Santa Marta im Jänner 2018.

"Es ist schlimm Priester zu sehen, die ein Doppelleben führen. Das ist eine Wunde in der Kirche. Kranke Priester, die Autorität verloren haben und trotzdem ihr Doppelleben fortführen."

Frédéric Martel stellt keine offene Forderung nach einem Ende des Zölibats. Sehr wohl aber sollte die katholische Kirche Frauen und verheiratete Männer zum Priestertum zulassen. Die Kirche müsste man zur Öffnung zwingen, indem die Kirchensteuer an Bedingungen geknüpft werden soll:

"Es muss drei Bedingungen geben: Totale Transparenz bei sexuellem Missbrauch. Zweitens soll die Kirche etwa in Deutschland die Gesetze zur Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen anerkennen. Drittens: Völlige Transparenz beim Geld. Es ist sehr wichtig, dass die Kirche, die so viel Geld besitzt damit transparent umgeht."

Der Vatikan schweigt

Wer Sodom selbst lesen möchte, sollte geduldig sein. Die 660 Seiten sind langatmig geraten. Das Vermächtnis von Martels Buch "Sodom" ist es nicht, neue Skandale aufzudecken. Frédéric Martel trägt stattdessen alle zugänglichen Informationen zusammen, um ein breites Bild der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert und heute zu zeichnen.

Bei kirchennahen Medien hat das Buch für Empörung gesorgt. Der Autor vermische Fakt und Fiktion so der Vorwurf. Martel verteidigt seine Recherche. Im Vatikan folgte kein Sturm der Entrüstung - wie so oft schweigt man lieber.

Service

"Sodom" von Frédéric Martel ist im Verlag S.Fischer erschienen.

daserste.de - Außen homophob, innen schwul? Das Buch "Sodom" über die katholische Kirche