Tom Neuwirth

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T.O.M.

Wurst mit "Truth Over Magnitude"

Fünf Jahre sind seit dem berauschenden Songcontest-Erfolg von Conchita Wurst vergangen. Nun schickt Sänger Tom Neuwirth eine neue Figur auf die Bühne - Wurst. Wurst steht für Elektro-Pop, für die männliche, härtere Seite des Künstlers. Der Titel des neuen Albums lautet "T.O.M. - Truth Over Magnitude". Wurst setzt also auf die Kraft der Wahrheit und pfeift auf kommerzielle Größe.

Morgenjournal | 23 10 2019

Mit der Glamour-Diva Conchita hat diese Figur schon rein optisch nichts zu tun. Wurst, das neue Projekt von Tom Neuwirt, machte gleich mit dem ersten Video klar, dass brave Divenhaftigkeit hier kein Kriterium ist: Lack, Leder, blondierte Haare und ein androgyner Look dagegen sehr wohl. Wurst soll den sehr persönlichen Gedanken Tom Neuwirths eine Bühne bieten - intimer und ehrlicher als es Conchita könnte.

Der Wunsch, Newcomer sein zu dürfen

Als selbstbestimmte Persönlichkeitsspaltung könnte man diesen Schritt sehen. Leicht fiel er Tom Neuwirth nicht, immerhin wären diese Lieder "das Authentischste seit ‚Rise Like A Phoenix‘". "Ich habe damit gehadert", bekennt der Sänger. "Denn erstens ist es für mich ein großes Ding, fast schon privat auf der Bühne zu stehen. Zum anderen dachte ich mir auch: ok, wie machen wir das? Lösche ich nun meinen Instagram-Account, wie wird man mich finden?"

Pressetexte und auch Zeitungen sprechen seit dem ersten Auftauchen von Wurst im Frühjahr vom "Electro-Newcomer". Die Beschreibung als Newcomer dürfte allerdings mehr Wunsch als Zustandsbeschreibung sein. Was auch immer Neuwirth anpackt, Conchita wird er dabei stets im Gepäck haben. "T.O.M." jedenfalls schreit als Statement nach einer Befreiung von den Fesseln der überlebensgroßen Kunstfigur Conchita.

Die bleierne Schwere des Phönix

Seit etwa zwei Jahren fühlt sich für Neuwirth das Conchita-Kostüm an wie ein zu enges Korsett. Da war kein Schweben mehr, schon gar nicht wie ein Phönix. "Es hat mich gelangweilt. Daraus wurde Frustration und aus dem Frust wurde Unglück. Ich wusste nicht mehr, was ich tun muss, um mich irgendwie glücklich zu fühlen." Komponiert und getextet wurden die neuen Songs gemeinsam mit Eva Klampfer, die man auch als Lylit kennt. Produziert hat Albin Janoska. Anfangs war dem Trio nicht klar, für wen da eigentlich komponiert wurde. Langsam schälte sich die neue Inkarnation Wurst heraus. Durch diesen Kunstgriff gelang es Neuwirth auch, die Figur der Conchita neu zu sehen und sich "neu in sie zu verlieben", wie er es ausdrückt.

Musik nur ein Teil des Gesamtkunstwerks

So kompromisslos diese Neuausrichtung auf dem Papier wirkt ("Trash All The Glam" heißt ein Song, als ob Neuwirth seine Eigenkreation mit Wucht zertrümmern möchte) - die Lieder selbst halten zu künstlerischer Radikalität einen deutlichen Sicherheitsabstand. Wurst geht es auch um mehr als nur um die Musik. Mindestens ebenso wichtig ist die visuelle Komponente. Anfangs spielte Neuwirth mit dem Gedanken, das Album als gesamtes auch filmisch umzusetzen. "Für mich ist die Musik ein Teil der visuellen Umsetzung. Ich liebe nichts mehr, als Videos zu machen."

Ganz einreißen will Neuwirth das Conchita-Haus ohnehin nicht - die Glamour-Lady soll weiterhin ihren Platz haben. Wurst ist vielmehr ein Zubau - und eine Einladung. "Ich sehe mich ja auch nicht als Musiker - ich bin Künstler. Ich will die Menschen in meine Welt einladen." "T.O.M. - Truth Over Magnitude" ist also Statement gleichermaßen wie Dokumentation eines persönlichen Reifeprozesses. "Ich kann bei Regen am Fenster sitzen und Barbara Streisand hören. Ich kann aber auch bis sieben Uhr morgens auf einem Tisch zu Goa tanzen. All das lässt sich vereinen. Ich habe aufgehört, um Erlaubnis zu fragen. Und ich habe aufgehört, mich zu limitieren." Die Botschaft also bleibt - wird auf "T.O.M. – Truth Over Magnitude" aber musikalisch neu ausformuliert.

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