Wolf Biermann

DPA/HANS BERTRAM

Milestones

Das donnernde Leben

"Milestones" über Wolf Biermann und Zentralquartett

Das Zentralquartett ist die berühmteste Institution des DDR-Free-Jazz, und Wolf Biermann ist Wolf Biermann. Gemeinsam lassen sie auf dem zum 80. Geburtstag von Biermann erschienenen Album "ein paar eckige Runden drehn!" von 2016 eine Auswahl seiner schönsten Lieder in völlig neuen Arrangements erklingen. Ein Glücksfall. Damit wäre alles gesagt.

Ein Glücksfall

Das Album ist schon jetzt ein Teil der deutschen Kulturgeschichte. Ob die Beteiligten trotz oder wegen des eigenartigen, so unverkennbar deutschen kommunistischen Regimes das geworden sind, was sie sind, wissen wir nicht. Das Zentralquartett wurde von einer Diktatur unfreiwillig mitgeformt, die es nicht verstoßen, sondern gerade mal so geduldet und milde subventioniert hat. So konnte das Ensemble eine eigenständige ostdeutsche Free-Jazz-"Institution" werden. Sängerin Pamela Biermann ist seit 29 Jahren mit Wolf verheiratet, sie bestritt zahllose Konzerte mit ihrem Mann; sie ist das weibliche "Korrektiv" und "die Wundertüte" (Wolf Biermann) des Ensembles.

Biermann ist auf so viele verschiedene Arten ikonisch, dass es eines Buchs bedarf, um alle Facetten seines Lebens und Schaffens zu beleuchten. Er wurde 1936 als Sohn eines in Auschwitz ermordeten Juden in Hamburg geboren, übersiedelte 1953 in die DDR, seine ersten Lieder und Gedichte schrieb er 1960. Biermann schaffte es, sich mit nicht einmal 30 Jahren bei den DDR-Granden so unbeliebt zu machen, dass im November 1965 über ihn ein totales Auftritts- und Publikationsverbot verhängt und er rund um die Uhr überwacht wurde.

1976 ausgebürgert

"Der schwarze Pleitegeier mit den roten Krallen / Steht starr im großen Gelb und wird bewacht / Von grünen Männern, die in Aluminium-Kisten / Vor meiner Haustür sitzen, Tag und Nacht", heißt es in einem Lied von 1975. Wolf Biermann wurde der radikalste Kritiker gegen die DDR-Parteidiktatur der DDR, was seine literarischen Qualitäten jedoch niemals schmälerte.

1976 wurde Biermann - gegen alle Rechtsnormen - ausgebürgert. Weiterhin schreibt er und gibt er Konzerte, ist aber auch politisch niemals verstummt, seine Essays, mit denen er sich in die Politik einmischt, treffen wunde Punkte. Trotzdem: Der Hauptstrom, der mehr und mehr zum Maelström geworden ist, lässt auch Biermann nicht unversehrt, sein Werk ist mit allen großen deutschen Literaturpreisen ausgezeichnet worden, und seine Gedichtbände zählen zu den meistverkauften der deutschen Nachkriegsliteratur. Establishment und Kritik: ein schwieriges Kapitel.

Rebellion und Freiheit

Das Zentralquartett gründete sich Anfang der 1970 Jahre in Ostdeutschland und setzte im damals gerade modisch gewordenen Free-Jazz neue Standards, nicht nur in der DDR. Auf dem gemeinsamen Album spielt Ernst-Ludwig Petrowsky das Altsaxofon, Ulrich Gumpert Klavier und Günter "Baby" Sommer Schlagzeug. Zu diesen legendären Musikern, allesamt bereits Mitglieder der Gründungsbesetzung, kommt Christof Thewes an der Posaune hinzu.

Rebellion und Freiheit, die zentralen Themen von Wolf Biermann, transportieren die Musiker über ihre Auffassung von Improvisation. Auch ihnen dürften die Ironien der Geschichte nicht entgangen sein. Eine Diktatur, die sich vor Musik gefürchtet hat, zeigt sich als antiquarisch bis ins Herz. Subventionierter Free-Jazz ist vielleicht noch der zeitgemäßeste Teil der Staatsräson. Doch der dort herrschende Konsens darüber, dass Literatur, Kunst und Kultur systemgefährdend seien, was die Observation ihrer Dichter/innen und Denker/innen von Amts wegen notwendig mache, entlarvt das kommunistische Regime als hoffnungslos im 19. Jahrhundert verankert. Man hätte vom Westen lernen sollen, wo man Kritik im Meer der Beliebigkeit ertränkt.

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