Six Seasons - Ein Werkstattbericht

Berlin: leben wie im Film. Zwei Radioheinis, zart jenseits der 40, sitzen in einem vom Odem der Ungezwungenheit fermentierten Café, gebeugt vor Geneigtheit, an einem Text, der zu einem Hörspiel werden soll. Wollen das Beste für ihn.

Er ist zu lang, schweift aus, schweift ab. Schlacke, Staub und Schönheit, so weit das innere Auge reicht. Vor dem Café geht Matthias Schweighöfer vorbei, spornstreichs von rechts nach links. Die Gäste des Lokals betragen sich wie eine intergenerationelle Schauspielklasse. Die Kellnerin ist Künstlerin im Brotberuf. Berlin ist TV, Englisch mit deutschen Untertiteln. Die Hörspielheinis kriegen hier als Letzte ihr Getränk. Der Fernsehturm hat polierten Stahl in den Venen. Eine Stadt gebiert sich unermüdlich selbst, in der Gestalt einer Gazette. Vor dem Café posiert ein hochglänzendes Gastgärtchen. Maxim Biller nimmt zufrieden Platz. Gestikuliert betont sanft. Ein von Fernreisen gegerbter Dichtertyp hört mit nassen Wimpern zu. Frühling ist’s.

Der Hörspieltext, über dem die beiden Heinis - Christian Lerch und ich - brüten, kracht noch vor eherner Diskursware, bereit, alles zu verkünden, was ein studierter Mensch in die Vorlage hineinphilosophieren könnte. Die Vorlage ist ein Bild aus dem Kunsthistorischen Museum Wien. Ö1 und jene altehrwürdige Institution sind eine Kooperation für eine Hörspiel-Podcast-Serie eingegangen. Sechs Autorinnen und Autoren widmen sich sechs Gemälden. Diese sollten nicht beschrieben, sondern als Impulslandschaft begriffen werden für neue Erzählungen, neue Gewänder, neuen Sprachklang. Der Feature-Autor und Regisseur Christian Lerch hatte das Projekt initiiert. Nun saßen wir da, in seinem Berliner Heimatbezirk, draußen schien die Sonne. Mein Hirn trübte sich ein. Der Text bot zu viel Bedeutung, zu viel Kanon, zu viel Nebel. Steckenbleiben.

Es war halb elf am Vormittag. "Früher hätte ich jetzt eine geraucht", sagte ich zu Christian. Nach einer Weile: "Oder einen Martini bestellt." Der Kollege war, nicht anders als ich, mit einer kleinen heiligen Mission in jene drei Tage gegangen: aus den sechs mehr oder weniger elaborierten Texten sogenannte Aufnahmefassungen zu machen. Er ließ den Blick auf das Papier geheftet, hatte kein professionelles Interesse an meinen avisierten Übersprungshandlungen. Ich bin seit vier Jahren Nichtraucher. Ich bestellte, nach einer Kunstpause, einen Martini bei der Künstlerin. "With lemon?", fragte diese. "Nein, danke." Sie brachte ihn mit Eis. Ich nahm das Tonikum trotzdem ein. Wir holzten den Text aus, verschränkten neu, rhythmisierten anders. Waren fertig, als der Hunger kam. Nebenan ist ein thailändisches Lokal. Man bekommt dort Huhn und Ente, beides vegetarisch, gewürzt nach Art einer Kuranstalt. Wir orderten Chili.

Hörspieltexte kommen selten in spielbarem Zustand, zumal, wie im Fall von „six seasons“, wenn sie von Literatinnen und Literaten, die zum Teil wenig bis keine Schreiberfahrung mit unserem Genre haben, verfasst worden sind. Schärfe ist nicht das schlechteste Verlangen in dieser Redaktion. Die Sinne sind dankbar für klare Reize. Nerven lassen sich nicht gern pflanzen. Das fragliche Stück, indem es um ein gutes Drittel schrumpfte, gewann an Schwung und Transparenz, mit dem notwendigen Rest an Rätselhaftigkeit.

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