Dirigenten

MARKUS SEPPERER

Das Ö1 Konzert

Ein symphonischer Riese im Radio

Die aufwändige Produktion der "Sinfonie X".

Wann die Übertragung von Dieter Schnebels "Sinfonie X" wirklich beginnt, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Denn die Klangkulisse, die das Publikum umfängt und zu der es selbst beiträgt, ist Teil der Komposition. Schnebel hat ein Werk geschaffen, das fluide, sich auflösende Konturen hat.

Die "Sinfonie X" beginnt nämlich mit Verkehrslärm aus Lautsprechern - diese Klänge sollen sich mit den Geräuschen des Publikums beim Betreten der Konzerträumlichkeiten mischen. Um diese besondere Konzertsituation und die Dimensionen dieses symphonischen, sechssätzigen Riesen akustisch optimal einzufangen, hat unser Team um Aufnahmeleiter Erich Hofmann und Tonmeister Martin Leitner keine Mühen gescheut.

  • Mit Kunstkopfmikrofonen wurde die Atmosphäre in und um den Wiener Musikverein eingefangen.

    Mit Kunstkopfmikrofonen wurde die Atmosphäre in und um den Wiener Musikverein eingefangen.

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Aufnahmeleiter Erich Hofmann wurde mit Mikros auf den Schulterpolstern seines Sakkos bestückt, um die Publikumsgeräusche einzufangen.

    Aufnahmeleiter Erich Hofmann wurde mit Mikros auf den Schulterpolstern seines Sakkos bestückt, um die Publikumsgeräusche einzufangen.

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Fanfaren rufen das Publikum in den Konzertsaal

    Fanfaren rufen das Publikum in den Konzertsaal.

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Der Schweizer Dirigent Baldur Brönnimann beim Durchhören der Aufnahme.

    Der Schweizer Dirigent Baldur Brönnimann beim Durchhören der Aufnahme. Aus logistischen Gründen wurden die Orchesterteile nicht im Goldenen Musikvereinssaal aufgenommen ...

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Orchester

    ... Für die aufwändige Mikrofonierung der im Raum verteilten Musikgruppen war zwischen all den weiteren Konzerten und Proben im Musikverein nicht genug Zeit ...

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Die Aufnahmen wurden in 5.1 Dolby Surround produziert.

    ... Deshalb wurde der Orchesterpart in den Synchronstudios am Wiener Rosenhügel aufgenommen - ein Saal mit legendärer Akustik. Die Aufnahmen wurden in 5.1 Dolby Surround produziert.

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Auch das rare elektronische Instrument Ondes Martenot ist Teil der Orchesterbesetzung.

    Auch das rare elektronische Instrument Ondes Martenot ist Teil der Orchesterbesetzung.

    ORF/MARTIN LEITNER

  • Auch Sensen werden von Dieter Schnebel in der Sinfonie X verlangt. Ein symbolträchtiger Gegenstand.

    Auch Sensen werden von Dieter Schnebel in der Sinfonie X verlangt. Ein symbolträchtiger Gegenstand.

    MARKUS SEPPERER

  • Tonmeister Martin Leitner auf der Kommandobrücke.

    Tonmeister Martin Leitner auf der Kommandobrücke.

    ORF/RAINER ELSTNER

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Aufwändiges Klangabenteuer

Das Klangabenteuer der "Sinfonie X" bereitete uns das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Baldur Brönnimann im Rahmen von Wien Modern. Bei diesem Mitschnitt lohnt es sich, Dolby Surround zu nutzen, falls Sie eine solche Empfangs- und Wiedergabemöglichkeit besitzen: Es wird nicht nur das Orchester spielen, sondern auch vier im Saal verteilte Musikgruppen mit allerlei außergewöhnlichen Instrumenten und Gegenständen.

Schnebels "Sinfonie X" ist ein aufführungspraktisches Gesamtkunstwerk. Eine großdimensionierte Sinfonie, die sich an Gustav Mahler orientiert. Vor und nach dem Konzert so wie in der Pause erklingen eigens kompilierte "Environments", wie Schnebel sie nennt: Verkehrslärm (vor dem Orchesterteil), Ausschnitte aus klassischer Musik (in der Pause) und Naturlaute (nach dem Ende des Orchesterteils).

Orchester spielt Sense

Der deutsche Komponist inkludiert auch Geräuschwelten, die die Musikerinnen und Musiker selbst erzeugen müssen - etwa Sensenschleifen, das Knarzen von Luftballons oder das Hantieren mit Kinderspielzeug. Die in der Partitur geforderten Sensen hat das RSO Wien übrigens erfolgreich per Social-Media-Aktion aufgetrieben.

"Solche Irritationen erachte ich für wichtig", meinte der 2018 verstorbene Komponist im Gespräch mit dem SWR bei der Uraufführung des "Sinfonie X" im Jahr 1992. "Ich will keine Musik mit glatter Oberfläche". Dabei hat man ihm das nach der Uraufführung vorgeworfen: postmoderne Musik zu schreiben. Dass er genau das nicht wollte, erläutert er im Interview mit dem SWR.

SWR-Interview zur Uraufführung von "Sinfonie X" im Jahr 1992: Dieter Schnebel verteidigt sein Werk.

Polyglotter Komponist

"Schnebel hatte ja sehr breite Interessen in seinem Leben", erläutert der Schweizer Dirigent Baldur Brönnimann den kulturellen Background des Komponisten. "Neben seiner Tätigkeit als Musiker und Komponist war er auch ausgebildeter Theologe. Er hatte sehr viel Interesse an Kulturen, an Religionen, an künstlerischen Ausdrucksformen aus anderen Regionen. Mit der Zeit ist dieses breite Interesse auch in seine Musik eingeflossen", erklärt er den Umstand, dass sich Schnebel von der doktrinären, strengen seriellen Musik abgewandt hat.

Ganz bewusst wollte Schnebel in seiner "Sinfonie X" mit kulturellen Versatzstücken arbeiten. Heterogenität wird hier zum Gestaltungsprinzip, so Brönnimann: "Er hat den Mahler'schen Gedanken vom Allumfassenden in der Symphonie weiterentwickelt in dem Sinn, dass das Stück eigentlich auch das gesamte Hörumfeld beinhalten soll. Alles soll hier in einer Symphonie drin sein. Nicht nur komponierte Musik, sondern alles, was man überhaupt hören kann."

Als Intro zu seiner sechssätzigen Symphonie hat Schnebel Fanfaren geschrieben – sie rufen das Publikum in den Konzertsaal.

Die verschachtelte Großform dieses Werks:

Environment - Verkehr
Fanfare
Entstehungen (Eingangsstück)
Zeitstück a
1. Satz: Con moto
2. Satz: Scherzo
Zeitstück b
Kreisen (Monodie)
Pause mit Environment - Kultur
Fanfare
Verschwinden
3. Satz: Hymnus
Wanderungen
Hymnus (Fortsetzung)
Evolutionen - Involutionen
4. Satz: Valse
Zeitstück c
5. Satz: Adagio
Zeitstück d
6. Satz: Finale alla marcia
Möglichkeiten (Schlussstück)
Environment - Natur

Gestaltung

  • Rainer Elstner